Vielleicht kommt auch dir bekannt vor, was mir eine Mutter neulich berichtete: „Da treffe ich im Hausflur meine Nachbarin – und mir fiel doch plötzlich partout ihr Name nicht mehr ein. Das war mir echt peinlich!“ Eine andere Mutter erzählte: „Ich gehe in die Küche und weiß plötzlich nicht mehr, was ich dort eigentlich wollte.“ Das Portemonnaie verlegt, den Geburtstag der Schwester vergessen – ist das jetzt vielleicht die vielzitierte „Stilldemenz“? Unter diesem Begriff wird das Phänomen diskutiert, dass Frauen, die ein Baby bekommen haben, häufig vergesslicher erscheinen als noch zu Beginn der Schwangerschaft oder davor. Im englischsprachigen Raum ist auch von „Mommy Brain“ (Mama-Hirn) oder „Baby Brain“ die Rede. Was hat es damit auf sich?

Eine kleine Info vorweg: Interessanterweise ist die sogenannte „Stilldemenz“ nicht ans tatsächliche Stillen geknüpft, denn auch Mütter, die ihr Kind mit dem Fläschchen ernähren, und sogar Väter, die sich viel ums Baby kümmern, können entsprechende Symptome aufweisen. 

„Stilldemenz“ – ein dummes und auch falsches Wort

Zuerst möchte ich euch beruhigen: Eine „Stilldemenz“ hat mit einer echten Demenzerkrankung überhaupt nichts zu tun. Demenz ist nämlich der Oberbegriff für verschiedene Krankheitsbilder des Gehirns, die in unterschiedlichen Formen auftreten. Die häufigste ist die Alzheimer-Demenz. Im Verlauf einer Demenzerkrankung kommt es zu einem unumkehrbaren Abbau von Synapsen und Nervenzellen im Gehirn. Damit einher gehen Störungen in verschiedenen Bereichen (z. B. Denkfähigkeit, Merkfähigkeit, Sprache, Verhalten, Motorik etc.). Das bedeutet: Nach und nach verlieren die Betroffenen ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sie im Laufe ihres Lebens erworben haben. Ganz überwiegend sind ältere und alte Menschen von Demenz betroffen. Je nach Form und Ausprägung dieser Erkrankung können die Alltagskompetenzen ganz verlorengehen. Auch in Zeit und Raum können sich Menschen mit Demenz irgendwann kaum oder gar nicht mehr orientieren. Selbst ihnen vertraute Menschen wie die eigene Ehefrau/der eigene Ehemann oder leibliche Kinder werden von manchen nicht mehr erkannt. Eine Demenzerkrankung ist nicht heilbar. 

Weil das so ist, halte ich die Bezeichnung „Stilldemenz“ für sehr unglücklich. Das leuchtet umso mehr ein, wenn man die Herkunft des Begriffes „Demenz“ betrachtet: Er wird aus dem Lateinischen abgeleitet und bedeutet soviel wie „weg vom Geist“ bzw. „ohne Geist“. Aber eine Mutter mit sogenannter „Stilldemenz“ ist keineswegs krank oder „ohne Geist“! Im Gegenteil – Mütter wachsen Superkräfte zu! 

Zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass Frauen durch Mutterschaft u.a. dauerhaft wagemutiger und stressresistenter werden, sich räumlich besser orientieren können und auch ein besseres Gedächtnis entwickeln. Auch das Hirnvolumen nimmt in jenen Bereichen zu, die für das Lösen von Problemen und das Verarbeiten von Emotionen zuständig sind. Und das sind nur Beispiele für den Kompetenzzuwachs des mütterlichen Gehirns. Nachweislich sind Mütter außerdem leistungsfähiger, stressresistenter, wagemutiger und furchtloser. Die sprichwörtliche Löwenmutter, die für ihr Kind bzw. ihre Familie durchs Feuer gehen würde, ist also keine romantische Erfindung. 

Kurzum – Mutterschaft „ist ein neuronaler Kick, der seinesgleichen sucht. Denn Mutterschaft versetzt Mütter in die Lage, mehr zu schaffen als zuvor“, schreibt Dr. med. Martina Lenzen-Schulte online in der Deutschen Hebammen Zeitschrift. Das sieht auch die us-amerikanische Autorin Katherine Ellison so in ihrem vielbeachteten Buch „Mutter sein macht schlau. Kompetenz durch Kinder“. Das Werk ist zwar schon 2006 im Kunstman Verlag erschienen, hat aber an Aktualität nichts verloren. Dort gibt Ellison einen gut verständlichen Überblick dazu, welch geistigen Fähigkeiten Frauen hinzugewinnen, wenn sie Mütter werden, und warum das so ist. Schon der Klappentext des Buches könnte dir Appetit auf die Informationen machen. Dort wird die Autorin mit dem Satz zitiert: „Ich glaube, man kann kaum etwas Besseres für sein Gehirn tun, als ein Kind zu bekommen.“ 

So, das musste mal deutlich gesagt werden! Weil der Begriff „Stilldemenz“ jedoch allgemein durch die Gesellschaft geistert, verwende auch ich ihn hier im Folgenden – aber zähneknirschend und zumindest stets in Anführungszeichen. 

Das Leitsymptom der Stilldemenz

Bei dem hier geschilderten Phänomen handelt es sich um eine vorübergehend nachlassende Merk- und Konzentrationsfähigkeit der Mutter. Das tritt vorwiegend in Situationen auf, die nichts mit dem Kind zu tun haben. Bei manchen Frauen beginnt das Symptom bereits im dritten Trimester der Schwangerschaft. Dann spricht man von „Schwangerschaftsdemenz“. Häufiger wahrzunehmen ist es bei Müttern vor allem in den ersten Wochen und Monaten nach der Geburt. Dann „tickt“ insbesondere das Kurzzeitgedächtnis anders, sodass Dinge aus der unmittelbaren Vergangenheit öfter vergessen werden. „Wo hab` ich bloß gerade mein Handy hingelegt?!“ Das Langzeitgedächtnis bleibt davon jedoch unberührt. 

Wie lange dieses Phänomen andauert, ist von Frau zu Frau unterschiedlich. Spätestens etwa ein Jahr nach der Geburt ist es dann wieder verschwunden. Es bleiben keine dauerhaften Vergesslichkeiten zurück. 

Gründe für eine „Schwangerschaftsdemenz“ bzw. „Stilldemenz“

Offenbar hat die Natur es auch mit Unterstützung der Hormone so eingerichtet, dass sich die Schwangere voll auf das Ungeborene und seine Geburt sowie die Mutter voll auf das Neugeborene konzentriert? Eine solche Anpassungsleistung und Spezialisierung des mütterlichen Gehirns ist für das Kind überlebenswichtig! Da dürfen kleine „Nebensächlichkeiten“ wie der Ablageplatz des Handys, das Geburtstagsgeschenk für Tante Henny oder die Tomaten auf dem Einkaufzettel schon mal vergessen werden. 

Zumindest in diesem Punkt ist sich die Wissenschaft sicher: Hormonelle Veränderungen sind bei der „Vergesslichkeit“ – ich sage lieber: bei der Konzentration auf das Wesentliche, nämlich das Kind und sein Wohlergehen – sowohl am Schwangerschaftsende als auch nach der Geburt auf jeden Fall mit von der Partie. In beiden Lebensphasen treten aber jeweils noch weitere Faktoren als „Mitspieler“ bzw. Mitverursacher hinzu.

In der Schwangerschaft steigt z.B. die Konzentration des sogenannten „Stresshormons“ Kortisol. Das gilt übrigens nicht nur für die Schwangere, sondern in geringerem Maße auch für ihren Partner/ihre Partnerin, hat eine Biologin der kanadischen University of Calgary nachgewiesen. Einerseits schützt Kortisol den Menschen u.a. in akuten Belastungssituationen sowie vor Entzündungen, es dient den Eltern aber auch zur Vorbereitung auf ihr Neugeborenes. Denn Kortisol lässt sie u.a. mitfühlender und empathischer auf Babys Weinen reagieren, was wiederum zum guten Überleben des Kindes beiträgt. Ganz schön schlau von der Natur, oder?

Andererseits kann Kortisol jedoch bewirken, dass Erinnerungen im Kurzzeitgedächtnis schlechter abgerufen werden können. Allein das wäre schon mal eine Erklärung für die „Schwangerschaftsdemenz“. Außerdem fahren Schwangere oft mit ihren Gefühlen Achterbahn zwischen Freude und Ängsten – wie anstrengend und für manche auch sehr stressig! Kommen möglicherweise noch weitere Sorgen hinzu, etwa finanzieller Art oder als Konflikte in der Partnerschaft oder am Arbeitsplatz, so erhöht sich der Stress für die werdende Mutter zusätzlich. Stress aber schwächt die Konzentration immer, das ist bei allen Menschen so.

Nach der Geburt sinken der Östrogen- und Progesteronspiegel bei der Frau. Schon das erschwert es der Mutter, sich zu konzentrieren bzw. Dinge zu merken. Dafür durchströmt das Kuschelhormon Oxytocin den mütterlichen Körper und sorgt vor allem für eine gute Bindung zum Baby. Danke, liebe Natur! Mamas ganzer Fokus liegt jetzt auf dem Kind – wieder eine wunderbare Überlebensgarantier für das Kleine! Außerdem schüttet der mütterliche Körper nun mehr Prolaktin aus, das die Produktion der Muttermilch ankurbelt. Die Mutter verliebt sich regelrecht in ihr Baby und vergisst die Welt um sich herum, wenn sie es stillt. Dabei lassen diese Hormonveränderungen auch die Erinnerung an den Geburtsschmerz bzw. die weniger schönen Geburtsmomente verblassen. Zugleich können aber auch noch andere Dinge aus dem Erinnerungsspeicher kurzfristig „weg“ sein. Macht nichts, sie sind nicht so wichtig.

Schlafmangel ist aus Sicht von Forschenden der zweite große Mitspieler bei einer „Stilldemenz“. Schlafmangel kann nämlich zu Konzentrationsmangel und Gedächtnisstörungen führen. Das erklärt auch das Phänomen, dass auch Väter von einer „Stilldemenz“ betroffen sein können. Mittlerweile sind sie nämlich immer mehr in die Versorgung des Babys mit eingebunden, was auch chronische Nachtschichten am Babybett einschließt. 

Frisch gebackene Eltern kennen Schlafentzug bzw. oft unterbrochenen Nachtschlaf nur zu gut. Aber nicht allein bei Müttern und Vätern beeinträchtigt länger anhaltender Schlafmangel bzw. ständige Schlafunterbrechungen die Leistungsfähigkeit des Gehirns. Die Fähigkeit, sich zu konzentrieren und zu erinnern, ist bei allen Menschen, die unter „schlechtem“ Schlaf leiden, herabgesetzt. Das liegt an zu wenig Tiefschlafphasen in der Nacht. In diesen sogenannten REM (Rapid-Eye-Movement)-Phasen werden nämlich nicht nur Erlebnisse des Tages verarbeitet, sondern auch Erinnerungen im Gedächtnis gespeichert. 

Bei zu wenig Schlaf schüttet der Körper außerdem mehr Kortisol aus. Dieses Stresshormon sorgt wie erwähnt für größere Vergesslichkeit. Dem wirkt jedoch das Stillen entgegen, denn es lässt den Kortisolspiegel bei der Mutter wieder sinken. 

Weitere Faktoren für die Stilldemenz: Neben der hormonellen Achterbahnfahrt der Mutter und fehlendem Schlaf der Eltern können weitere belastende Umstände (Stress) eine „Stilldemenz“ fördern. So sorgen bei jungen Eltern beispielsweise größere Probleme im häuslichen Umfeld oder in der Partnerschaft sowie traumatische Geburtserlebnisse oder massive Überforderung im neuen Alltag für mehr Vergesslichkeit. Nicht nur deshalb ist es wichtig, sich Unterstützung zu suchen! Auch dafür kann deine Hebamme erste Ansprechpartnerin sein und dir Hilfsangebote vermitteln. Schau auch gerne mal hier auf meinem Blog.

Tu dir was Gutes hilft gegen Stilldemenz!

Verständlich, wenn es dich vielleicht manchmal nervt, dass du etwas vergisst. Eine Mutter hat mir mal erzählt, dass sie manchmal sogar Wortfindungsstörungen hat. Sie möchte z.B. ihren Mann bitten, ihr das Salz zu reichen – aber ihr fällt das Wort „Salz“ gerade nicht ein. Möglicherweise empfindest du in manchen Situationen auch ein Gefühl der Unzulänglichkeit und denkst, dass etwas mit dir nicht stimmt. Aber mit dir stimmt alles! Auch wenn das andere manchmal anders sehen, über deine „Vergesslichkeit“ schmunzeln oder dich vielleicht sogar nicht mehr ganz für voll nehmen und blöde Bemerkungen machen wie z.B. „Ja, ja, die Hormone“ oder „Typisch Mutter“.

Ich kann es nur wiederholen: Ja, es ist typisch für Mütter nach der Geburt, dass ihr Gehirn erhebliche Anpassungsleistungen vollbringt, sich auf das Wohl des Kindes konzentriert und dabei extrem ökonomisch vorgeht. Sei stolz darauf und lass den vergessenen Parmesankäse für das Nudelgericht Parmesankäse sein! Wenn du das so siehst, hast du das Beste für dich schon getan!

Außerdem kannst du noch Folgendes machen, um dich zu stärken: 

Powernap: Da Schlafmangel offenbar zu den Hauptgründen für mütterliche Vergesslichkeit gehört, kann ich nur den vielzitierten Rat wiederholen: Schlafe, wenn dein Baby schläft! Und das nicht nur in der Nacht, sondern auch am Tag. Ich weiß, dass Haushalt, Termine, Geschwisterkinder etc. die Umsetzung dieses Tipps zuweilen erschweren. Aber vielleicht kannst du ja zumindest ab und zu zwischendurch ein Schläfchen einschieben, das deinem Körper und Geist eine wohlverdiente Pause verschafft.

Gesunde Ernährung: Eine vitaminreiche Ernährung wirkt dem Vergessen der Schwangerschafts- und Stilldemenz entgegen. Besonders wirkmächtig sind hier vor allem das Vitamin B12 (z.B. in Hering, Seelachs), das Vitamin C (z.B. in Hagebutte, roter Paprika, grünem Gemüse) und das Vitamin E (z.B. in pflanzlichen Ölen, Nüssen, grünem Gemüse). Gleiches gilt für die Aufnahme von Mineralien, besonders Zink. 

Der falsche Weg wäre es jedoch, wenn du dir jetzt wahllos Vitamine bzw. Mineralstoffe einfach selbst verordnen und entsprechende Präparate einnehmen würdest. Kläre das vorher immer mit deiner Ärztin/deinem Arzt ab. Auf „natürlichem Weg“ über gesunde Ernährung kannst du dagegen nichts falsch machen; dann besteht auch keine Gefahr einer Überdosierung. Zur gesunden Ernährung gehört es auch, genug zu trinken, vorzugsweise Wasser. Etwa zwei Liter pro Tag dürfen es schon sein. Mehr zur Ernährung In der Schwangerschaft findest du hier.

Bewegung hilft gegen Schwangerschafts-und Stilldemenz: Bewegung in Kombination mit Atemtechnik, sowie Spaziergänge an der frischen Luft beruhigen nachweislich das Gehirn und ordnen die Gedanken. Das hilft auch bei Schwangerschafts- und Stilldemenz. Denn geordnete Gedanken helfen, Gedankenprioritäten richtig zu setzen und unterstützen dadurch die Merkfähigkeit des Gehirns. Der Online-Rückbildungskurs von notdiensthebamme.de gibt dir die Möglichkeit, dein Training an deine Bedürfnisse und die Bedürfnisse deines Babys anzupassen.

Gedächtnisstützen im Alltag helfen bei Schwangerschafts- und Stilldemenz: Ein altes Sprichwort lautet: „Wer schreibt, der bleibt.“ In einem griffbereiten Notizheft lässt sich alles festhalten, was nicht vergessen werden soll. Manche Menschen nutzen auch gerne Post-it Zettel, die sie sichtbar an die passenden Stellen kleben – an den Kühlschrank z.B. oder die Wohnungstür. Eine Einkaufsliste mit Stift an zentraler Stelle in der Küche lässt sich jederzeit ergänzen, wenn dir gerade einfällt, was noch fehlt.

Ordnung hilft bei Stilldemenz: Für Schlüssel, Handys, Portemonnaie, Brillen etc. richtest du am besten jeweils feste Plätze ein, an denen die Gegenstände „wohnen“. Dann kannst du sie leichter wiederzufinden, wenn du sie brauchst. 

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Katharina Jeschke

Katharina Jeschke

Gründerin von elternundbaby.com und Hebamme, zertifizierte Erste Hilfe Trainerin, zertifizierte Schlafcaochin für Babys und Kinder

Als Hebamme, Schlafcoachin für Babys und Kinder, sowie als Erste Hilfe Trainerin  unterstütze ich Frauen und Eltern dabei Schwangerschaft, Geburt und die Zeit als Eltern gut und entspannt zu gestalten. Ich bin selbst Mama von zwei bezaubernden Kindern.

Kinder sollen sicher und geborgen wachsen können. Dafür brauchen sie starke Eltern, die mit Wissen und Intuition die Entwicklung ihrer Kinder begleiten. Meine Hebammenhilfe soll Eltern das Wissen und Vertrauen geben, das sie ihren individuellen Weg finden und gehen können.

Dieser Blog elternundbaby.com ergänzt meine online Hebammensprechstunde und meine online Kurse von notdiensthebamme.de