Es könnte alles so schön sein. Mit ihren acht Wochen ist die kleine Stella-Sofie ein richtiger Wonneproppen. Sie weint wenig, trinkt gut und zeigt immer mehr Interesse an ihrer Umgebung. Dennoch findet Mutter Alexandra keinen Zugang zu ihrem Kind. Im Gegenteil – sie verspürt große Traurigkeit beim Anblick ihres Babys, um das sich jetzt alles dreht. Sie fühlt sich mit allem überfordert und zweifelt daran, eine „gute“ Mutter zu sein. Gleichzeitig fühlt sich Alexandra schuldig daran, dass sie einfach nicht so glücklich ist, wie es von ihr als Mutter erwartet wird. Schuld an allem sind wohl „nur“ die Hormone – oder?! Irgendwann hängt dann aber doch der Verdacht einer „Wochenbettdepression“ in der Luft. 

Etwa 10 bis 20 Prozent der Mütter sind von dieser Diagnose betroffen. Und keine von ihnen muss sich dafür schämen! Das ist mir ganz wichtig: Bei einer Wochenbettdepression (auch „postpartale Depression“ genannt) handelt es sich um eine seelische Erkrankung, die behandelt werden muss und sehr gut heilbar ist. In ihrer Erscheinungsform ähnelt sie der Schwangerschaftsdepression und kann unterschiedlich schwer verlaufen. Interessanterweise kann eine Wochenbettdepression übrigens auch bei Vätern auftreten. Im Folgenden beschränke ich mich jedoch hier auf betroffene Mütter.  

Woran erkennt man eine Wochenbettdepression?

Eine postpartale Depression muss zunächst vom sogenannten Baby-Blues unterschieden werden. Beim Baby-Blues leiden 50 bis 80 Prozent aller frischgebackenen Mütter innerhalb der ersten Woche nach der Geburt einige Tage unter einem vorübergehenden Stimmungstief. Sie sind dann leicht reizbar, weinen schnell und erleben Stimmungsschwankungen. Verantwortlich für diese auch als „Heultage“ bezeichnete Phase sind hauptsächlich die enormen hormonellen und körperlichen Umstellungsprozesse im weiblichen Körper nach der Geburt. Der Baby-Blues gibt sich wieder von allein und bedarf keiner ärztlichen Behandlung. 

Anders verhält es sich mit der Wochenbettdepression.  

Dieses Krankheitsbild ist auch von der sehr seltenen postpartalen Psychose abzugrenzen. Sie ist nicht nur von den stark ausgeprägten Symptomen einer Wochenbettdepression gekennzeichnet (siehe unten), sondern geht außerdem noch mit Wahnvorstellungen oder Halluzinationen einher. 

Der häufigste Zeitraum für eine Wochenbettdepression liegt in den ersten Wochen nach der Geburt. Die Erkrankung kann aber auch noch nach Monaten oder in seltenen Fällen bis ins zweite Lebensjahr des Kindes hinein auftreten. Charakteristisch sind folgende Symptome, die länger als zwei Wochen anhalten:

• Das Gefühl von innerer Leere macht sich in der Mutter breit.

• Sie verliert ihr Interesse an Dingen, die ihr vorher Freude gemacht haben. 

• Selbstzweifel nehmen zu, die betroffenen Mütter fühlen sich wertlos.

• Gleichzeitig wachsen Scham- und Schuldgefühle, nicht so eine freudvolle Mutter sein zu können, wie das vom Umfeld erwartet wird.

• Die betroffenen Frauen fühlen sich im und vom Alltag überfordert, auch in der Versorgung des Kindes und ggf. ihrer weiteren Kinder.

• Typisch sind auch körperliche Beschwerden wie Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, verminderte Konzentrationsfähigkeit oder Kopfschmerzen.

• Mütter mit einer Wochenbettdepression können oft keine Liebe für ihr Baby verspüren (was aber nicht heißt, dass sie diese Gefühle nicht haben – sie spüren sie nur nicht) und/oder leiden unter ambivalenten Gefühlen für ihr Kind. 

• Bei schweren Verläufen der Erkrankung kommen bei den Betroffenen Zwangsgedanken auf, dem Baby etwas anzutun – was jedoch nicht umgesetzt wird. Diese Gedanken können auch um einen (erweiterten) Suizid kreisen (das Kind und sich selbst töten = erweiterter Suizid). 

Reaktionen 

Oftmals wird im Umfeld der betroffenen Mutter registriert, dass mit ihr „irgendetwas nicht stimmt“. Zuerst schieben der Vater, Angehörige oder Freunde die merkwürdige „Traurigkeit“ noch auf die Hormonumstellung nach der Geburt bzw. einen länger als gewöhnlich andauernden Baby-Blues. Mit der Zeit kommen dann oft verwirrte Fragen und Kommentare nach dem Motto: „Was hast du bloß? Dein Baby ist doch so süß! Freu dich doch!“ Solche Reaktionen oder gut gemeinte Ratschläge verschlimmern jedoch die Wochenbettdepression meistens nur.

Deshalb wende ich mich ausdrücklich an das Umfeld der betroffenen Mutter: Unterstützt sie, indem ihr sie entlastet (z.B. bei der Hausarbeit, bei der Betreuung von Geschwisterkindern, bei der Versorgung mit Mahlzeiten etc). Aber spart euch Ratschläge oder Kommentare zur Gefühlslage der Frau. Eine Wochenbettdepression ist eine ernstzunehmende Erkrankung und muss Behandlung erfahren. Macht der Mutter deshalb Mut, sich einer fachlichen Person anzuvertrauen und ggf. in Behandlung zu begeben.

Nicht selten übersehen auch die betroffenen Frauen selbst typische Anzeichnen für eine Wochenbettdepression oder verdrängen sie. Oft haben sie auch Angst zuzugeben, dass etwas nicht in Ordnung ist. Oder sie schämen sich dafür. 

Ich möchte Betroffene an dieser Stelle ausdrücklich ermutigen: Es gibt keinen Grund, sich für eine Erkrankung zu schämen. Der mutigste erste Schritt ist es, sich jetzt Hilfe zu holen. Und Hilfe für dich heißt dabei zugleich auch Hilfe für dein Baby. So kann die durch eine Wochenbettdepression gestörte Mutter-Kind-Bindung wieder ins Lot gebracht werden. Weiter unten nenne ich dafür verschiedene Ansprechpartner*innen.

Wodurch entsteht eine Wochenbettdepression? 

In der Forschung werden die unterschiedlichen körperlichen Ursachen noch diskutiert. So wird etwa der Hormonhaushalt (mit)verantwortlich gemacht, der sich nach der Geburt schlagartig wieder neu einpendeln muss. Auch bestimmte biochemische Prozesse im Körper spielen womöglich eine Rolle, an denen Botenstoffe, die die Erregung von einer Zelle auf die andere übertragen (Neurotransmitter), beteiligt sind.  

Daneben gibt es bestimmte psycho-soziale Faktoren, die das Risiko für eine Mutter nach der Geburt ihres Kindes erhöhen, an einer postpartalen Depression zu erkranken. Dazu gehören:

psychische Vorerkrankungen der Mutter (z.B. eine Depression in vergangenen Jahren oder eine Schwangerschaftsdepression)

traumatische Erfahrungen: Solche Erfahrungen können bis in die eigene Kindheit der Frau zurückreichen (z. B. Erfahrungen jeglicher Form von seelischer und/oder körperlicher Gewalt), sie können aber auch aus jüngerer Vergangenheit stammen oder während der Schwangerschaft oder Geburt erlitten worden sein.

fehlende Unterstützung vom Partner bzw. von der Partnerin der betroffenen Frau und aus dem näheren sozialen/familiären Umfeld

belastende Lebenssituationen: z.B. finanzielle Sorgen, Zukunftssorgen, Probleme in der Partnerschaft oder weiteren Familie oder auch eine ungewollte Schwangerschaft 

verändertes Selbstbild: Für die Frau kann es sich so anfühlen, als habe sie nach der Geburt ihre Selbstwirksamkeit verloren und werde nur noch auf ihre Mutterschaft reduziert. Zusätzlich kann sie ihren veränderten Körper nach der Geburt möglicherweise neu wahrnehmen und an seiner Attraktivität zweifeln.

Perfektionismus/ zu hohe Ansprüche an sich selbst: Will die Frau nach der Geburt alles stets „richtig“ machen, so führt das zwangsläufig zu herben Enttäuschungen und tiefer Frustration, wenn die gesteckten Ziele nicht erreicht werden (können). Perfektionismus bedeutet z.B., alles optimal hinkriegen zu wollen: die Versorgung des Kindes, die Förderung seiner Entwicklung, die Haushaltsarbeit, die Rolle der Partnerin, das eigene „Styling“ etc. Dazu gehören auch „falsche“ Vorbilder wie etwa Prominente, die sich kurz nach der Geburt schon wieder strahlend schön und superschlank in der Öffentlichkeit präsentieren. 

gesellschaftlicher Druck: Medien transportieren gerne (durch Werbung, Filme etc.) das Idealbild „jünger Mütter“ in Aussehen, Verhalten, erwünschten Gefühlen, Partnerschaft etc. Gleiches gilt für Erwartungen/Kommentare, die aus dem sozialen Umfeld der Frau geäußert werden. Beides ist für die Mutter eine große Belastung und erzeugt Druck.

Wer hilft bei einer Wochenbettdepression?

Wenn du dich bei manchen der oben beschriebenen Anzeichen für eine postpartale Depression wiedererkennst oder einfach das Gefühl hast, „da stimmt was nicht“, dann zögere nicht, dir Unterstützung zu holen! 

Verschiedene Ansprechpartner*innen sind:

• deine betreuende Hebamme

• deine frauenärztliche bzw. hausärztliche Praxis oder deine Entbindungsklinik

• alle Schwangerschaftsberatungsstellen (sie bleiben für dich bis zum dritten Geburtstag deines Kindes zuständig)

•  die Selbsthilfeorganisation Schatten & Licht e. V., die speziell für Frauen in seelischen Krisen rund um die Geburt da ist: https://schatten-und-licht.de/

•  das Bündnis für Depressionen: www.buendnis-depression.de

•  der Sozialpsychiatrische Dienst in deiner Nähe

•  lokale Unterstützungsangebote des Netzwerks Frühen Hilfe: https://www.elternsein.info (mehr über Frühe Hilfen findest du hier auf meinem Blog)

– eine psychotherapeutische bzw. psychiatrische Praxis

In ersten Beratungsgesprächen wird mit den Frauen erarbeitet, wie es konkret weitergehen kann. Welche Form der individuellen Behandlung sich anschließen sollte, hängt auch davon ab, wie ausgeprägt die Wochenbettdepression ist. So kann in leichten Fällen auch stärkere Unterstützung und Entlastung der Mutter Erfolge bringen und die Symptome lindern. 

Wird eine psychotherapeutische Behandlung erforderlich, kann die Frau beispielsweise Gesprächstherapien wahrnehmen. Manchmal wird die Behandlung mit der Verschreibung von antidepressiv wirkenden Medikamenten unterstützt. Wenn du stillst, wird deine Therapeutin/dein Therapeut genau auf die Zusammensetzung und Dosierung des Medikaments achten, damit möglichst keine gesundheitlichen Risiken für dein Baby bestehen.  

Bei besonders stark ausgeprägter Erkrankung kann auch ein stationärer Aufenthalt in einer entsprechenden Klinik notwendig werden. Hierfür nehmen manche Einrichtungen Mutter und Kind gemeinsam auf.  

In jedem Fall ist für die betroffene Mutter jede Art von Unterstützung aus dem sozialen Umfeld erforderlich und hilfreich. Im Idealfall können Partner/in, Familie und Freunde in ihrem Umfeld für Entlastung im Alltag sorgen. Das heißt, vor allem im Haushalt und bei der Versorgung des Babys. Ggf. lässt sich auch eine bezahlte Haushaltshilfe oder Kinderbetreuung organisieren. 

Unter bestimmten Voraussetzungen kann eine Haushaltshilfe auch ärztlich verordnet werden. In dem Fall übernimmt deine Krankenkasse die Kosten. Und im Rahmen der Frühen Hilfen unterstützen auch Familienhebammen sowie geschulte ehrenamtlich Familienhelfer*innen die junge Familie bzw. Mutter kostenlos.

Besonders wichtig ist für die betroffene Mutter, dass Familie und Freunde geduldig mit ihr sind, ihr Verständnis entgegenbringen und sie ernst nehmen. Ich kann es nicht oft genug sagen: Eine postpartale Depression ist keine Überempfindlichkeit, sondern eine Erkrankung. Eben deshalb sich ja auch lapidare Sätze in der Form von „Ach, das wird schon wieder …“ jetzt nicht förderlich. Stattdessen kann auch ein liebevolles Verwöhnprogramm mit leckeren Mahlzeiten, behaglicher Atmosphäre oder sanften Aktivitäten für Entlastung sorgen. Die Erfahrung zeigt auch, dass es vielfach hilfreich ist, wenn der Partner/die Partnerin an den Beratungsgesprächen teilnimmt.  

Was kannst du selbst tun?

Auch die Mütter selbst können einiges für ihre Gesundheit tun. Vieles reduziert auch bereits im Vorfeld das Risiko, an einer postpartalen Depression zu erkranken.  

• Suche das Gespräch mit einer Person deines Vertrauens.

  • Ernähre dich gesund. Mehr Infos dazu findest du auf meinem Blog hier. Was in der Schwangerschaft gesund war, ist auch jetzt eine gute Ernährungsform. Glücklicherweise gibt es für dich jetzt aber weniger Einschränkungen.
  • Achte darauf, dass du genügend Schlaf bekommst. Dafür hilft es, sich auch selbst auszuruhen, wenn das Baby schläft. 

• Sorge für ausreichende Bewegung. Dabei sind Spaziergänge an der frischen Luft ebenso unkompliziert wie hilfreich und tun einfach gut. Rückbildungsgymnastik ist der perfekte Sport für deine körperliche Gesundheit und die emotionale Kraft.

• Scheue dich nicht, Unterstützung von Angehörigen und Freunden anzunehmen. 

• Gönne dir „Entspannungs-Oasen“. Das kann beispielsweise ein warmes Bad, eine Yogastunde oder eine kleine Me-Time-Auszeit mit dem Lieblingsbuch sein. 

• Sei nachsichtig mit dir. Nur weil du erkrankt bist, bist du keine schlechte Mutter. Du musst niemandem etwas beweisen.

• Verabschiede dich von der Vorstellung, dass du und dein Alltag perfekt sein müssten. Verzichte notfalls auf Social Media-Konsum, um dich nicht vom vermeintlich „großartigen Leben“ anderer weiter runterziehen zu lassen. 

• Sei geduldig mit dir. Die Behandlung einer Depression braucht Zeit. 

• Sei stolz auf dich. Du hast mutig den ersten Schritt getan, um für dich und dein Baby Hilfe zu finden. 

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Katharina Jeschke

Katharina Jeschke

Gründerin von elternundbaby.com und Hebamme

Als Geburtshausleiterin, Hebamme und Mutter unterstütze ich Frauen dabei ihre Herausforderung während, vor und nach der Schwangerschaft besser zu bewältigen.

Um noch mehr Frauen zu erreichen, startete ich elternundbaby.com. Ich freue mich darauf, dich hier begrüßen zu dürfen.