Die Wochenbettpsychose, auch postpartale Psychose (PPP) genannt, gehört zu den schwersten psychischen Krisen nach einer Schwangerschaft. Zugleich ist diese Erkrankung glücklicherweise aber auch die seltenste. Von 1.000 Müttern sind bis zu höchstens drei Frauen davon betroffen. Im Vergleich dazu entsteht eine Wochenbettdepression viel häufiger: Von 1.000 Müttern erkranken daran etwa 100 bis 200 Frauen.
Auch wenn vergleichsweise also nur wenige Frauen eine Wochenbettpsychose erleiden, möchte ich diese schwere Erkrankung ins Sichtfeld rücken. Denn es ist nämlich möglich, dass die betroffene Mutter sich oder auch ihr Baby dann in Gefahr bringt.
Vorweg jedoch ganz wichtig: Bei der postpartalen Psychose handelt es sich um eine völlig unverschuldete Erkrankung! Sie ereignet sich einfach und ist dann ein medizinischer Notfall. Keine Mutter, die gerade entbunden hat, ist davor wirklich geschützt – und keine Frau ist daran „schuld“, wenn sie von einer Wochenbettpsychose getroffen wird. Ein schlechtes Gewissen wäre also total fehl am Platz.
Die Ursachen
Es ist noch nicht abschließend erforscht, welche Ursachen zu dieser Erkrankung führen können. Man weiß jedoch bereits, dass sich aus einer schweren unbehandelten Wochenbettdepression auch eine Wochenbettpsychose entwickeln kann. Darüber hinaus vermuten Wissenschaftler*innen unterschiedliche auslösende Faktoren, die auch zusammenspielen und sich gegenseitig verstärken können. In jedem Fall wird angenommen, dass der plötzlich veränderte Hormonspiegel nach der Geburt eine wichtige Rolle spielt, denn z.B. Östrogen und Progesteron fallen dann rapide ab. Auch ein traumatisierender Geburtsverlauf kann als Auslöser für eine postpartale Psychose nicht ausgeschlossen werden. Ebenso könnten soziale und mentale Notlagen beteiligt sein, etwa eine stark belastete Lebenssituation, enormer Stress in Familie oder Partnerschaft, extrem überfordernde Selbsterwartungen oder die Einstellung zum Kind.
Als besonders gefährdet für eine Wochenbettpsychose gelten Frauen, die in ihrer Vorgeschichte bereits von einer Depression oder einer manisch-depressiven Störung (auch bipolare Störung genannt) betroffen waren.
Das Krankheitsbild der Wochenbettpsychose
Eine Wochenbettpsychose entwickelt sich nicht langsam und schleichend, sondern überfällt die betroffene Mutter meist plötzlich innerhalb der ersten zwei Wochen nach der Geburt. Die Erkrankung kann auch noch bis etwa vier Wochen nach der Entbindung auftreten.
Ob es sich tatsächlich um eine postpartale Psychose handelt, ist sowohl für Angehörige der erkrankten Mutter als auch für sie selbst nicht leicht zu erkennen. Symptome wie etwa Schlafstörungen, Appetitlosigkeit oder Konzentrationsschwierigkeiten können auch beim vorrübergehenden Babyblues direkt nach der Geburt oder bei einer Wochenbettdepression auftreten.
Selbst schwerwiegendere Anzeichen einer Wochenbettpsychose werden zuweilen abgetan („Ach, das sind bloß die Hormone“) oder können vom Umfeld nur schwer registriert werden, weil die Betroffene sie aus Scham oder Angst, für „verrückt“ zu gelten, vor sich selbst und anderen verbirgt. Zudem treten die Symptome oft in schnellem Wechsel auf, sodass eine erkrankte Mutter zwischendurch auch gesund wirken kann.
Kennzeichnend für einer Wochenbettpsychose sind häufig der Realitätsverlust sowie fehlende Krankheitseinsicht bei der betroffenen Mutter. Konkret können sich folgende Störungen einzeln oder in Kombination, meist in raschem Wechsel sowie in unterschiedlicher Intensität zeigen:
- Häufige Stimmungsschwankungen, Angstzustände, Euphorie, Verzweiflung, Aggressionen, Hoffnungslosigkeit. Manische Phasen, in denen sich ein übersteigertes Hochgefühl, überbordende Ideen, Rededrang, starke Bewegungsunruhe, Gereiztheit und rastlose Aktivitäten zeigen können, wechseln mit depressiven Phasen. Diese können u.a. mit lähmender Antriebslosigkeit, großer Teilnahmslosigkeit, tiefer Schwermut, Interessenlosigkeit, Gleichgültigkeit, Gefühlsarmut bis hin zu wiederkehrenden Gedanken an den Tod einhergehen.
- Die Denkfähigkeiten der Betroffenen verändert sich. Ihre Gedanken sind oft zerfahren und zerfleddert, im nächsten Moment wieder rasend oder stark verlangsamt sowie häufig unlogisch und zusammenhangslos.
- Die Wahrnehmungsfähigkeiten sind gestört. Die Umwelt, auch die Familie, Partner*innen, Freunde, werden von der Mutter als fremdartig wahrgenommen. Dieser unterschiedlich ausgeformte Realitätsverlust gilt als typisches Merkmal einer postpartalen Psychose. Manche Betroffene sehen auch Dinge, die nicht da sind, sie hören Stimmen oder haben Halluzinationen (auch im Geruchs- und Geschmacksempfinden).
- Es können auch verschiedene Wahnvorstellungen auftreten (z.B. sich beobachtet oder verfolgt fühlen, krankhafte Eifersucht, eingebildete Erkrankung oder die Überzeugung, vergiftet zu werden).
Folgen der Wochenbettpsychose für das Kind
Viele dieser Symptome einer postpartalen Psychose gefährden nicht nur die Mutter, sondern auch das Baby: Eine an Wochenbettpsychose erkrankte Frau kann ihr Kind meist nicht angemessen versorgen bzw. die Bedürfnisse des Neugeborenen nicht adäquat beantworten. Verantwortlich dafür sind u.a. die übersteigerte Sorge und Angst der Mutter ums Kind, ihre lähmenden Gefühle von Antriebslosigkeit, Gleichgültigkeit oder Versagen, der häufig enorme Realitätsverlust, Wahnvorstellungen.
Sehr gefährlich kann es werden, wenn die erkrankte Mutter Zwangsgedanken entwickelt, sich und/oder ihrem Baby etwas anzutun. Zum Beispiel weil ihr die innerlichen Stimmen das „befehlen“. Oder weil sie in völliger Hoffnungslosigkeit versinkt. Oder den Wahn nicht mehr aushält, sich selbst und/oder das Kind akut bedroht zu sehen. In der Folge können sich die suizidalen Gedanken dann nicht nur auf den eigenen Todeswunsch richten, sondern der Erkrankten auch vorgaukeln, dass sie das Kind nicht allein auf der Welt zurücklassen darf (erweiterter Suizid).
Zwar hegt nicht automatisch jede erkrankte Wöchnerin Suizidgedanken oder gefährdet Leib und Leben ihres Kindes – aber dennoch besteht diese Gefahr. In jedem Fall ist die Bindung der betroffenen Mutter zum Kind durch die postpartale Psychose und ihre Auswirkungen nachhaltig gestört.
Hilfe bei einer Wochenbettpsychose organisieren
Eine Wochenbettpsychose belastet auch die Beziehung der betroffenen Frau zu ihrem Partner/ihrer Partnerin, zu ihren älteren Kindern und zu anderen Angehörigen enorm. Letztlich ist also die ganze Familie von der Erkrankung betroffen und steht vor sehr großen Herausforderungen.
Erschwerend tritt hinzu, dass die erkrankte Mutter vernünftigen Argumenten kaum bis gar nicht zugänglich ist. Daher sollten ihre Angehörigen gar nicht erst versuchen, mit ihr über ihre wahnhaften Vorstellungen und Überzeugungen zu diskutieren. Stattdessen ist jetzt schnelle Hilfe geboten. Diese muss sich sowohl auf die Mutter als auch ggf. auf den Schutz und die Versorgung des Kindes richten.
Um es ganz deutlich zu sagen: Bei einer postpartalen Psychose handelt es sich um einen medizinischen Notfall, der sofortiger fachärztlicher Behandlung bedarf.
Angehörige sollten bei auffälligem Verhalten bzw. deutlichen Verhaltensänderungen der Wöchnerin daher sehr schnell mit der Hebamme sprechen, die die Mutter im Wochenbett betreut. Der Kollegin werden die Veränderungen wahrscheinlich auch schon aufgefallen sein. In jedem Fall kann sie sofortige Hilfe einleiten.
In vielen Fällen nehmen die Angehörigen aber auch Kontakt zu anderen Stellen auf, die Hilfe bieten bzw. vermittelt. Das können etwa sein:
– die Frauen- oder Hausärztin bzw. der Arzt
– die Entbindungsklinik
– der lokale sozialpsychiatrische Dienst
– eine psychiatrische Klinik
Auch die Internetseite der Initiative „Schatten und Licht e.V“., die sich u.a. peripartalen psychischen Erkrankung widmet, bietet erste Orientierung, Rat und konkrete Anlaufstellen.
Die Behandlung der Wochenbettpsychose
Die erkrankte Mutter gehört in die Untersuchung und Behandlung einer ausgebildeten Expertin/eines ausgebildeten Experten für perinatale Psychiatrie. Dabei stehen die Heilungschancen gut, auch wenn die Heilungsdauer individuell unterschiedlich verläuft.
Eine von Wochenbettpsychose betroffene Frau wird zumeist in einer entsprechenden Klinik stationär aufgenommen, gerade wenn die Erkrankung ausgeprägt ist. Dort erhält sie entsprechende Medikamente wie Antidepressiva und Neuroleptika sowie eine psychotherapeutische Behandlung (z. B. Gesprächstherapie). In einigen Fällen kann die Behandlung auch ambulant erfolgen, was jedoch nur nach ärztlicher Einschätzung und Diagnose sowie unter guten Voraussetzungen möglich ist.
Beim stationären Aufenthalt wird versucht, die Mutter und ihr Baby möglichst nicht zu trennen. Oft ist eine Trennung ganz oder teilweise jedoch zum Schutz von beiden vorrübergehend nötig. Zudem bieten leider nicht alle Fachkliniken eine Mutter-Kind-Station, auf der die Frau mit ihrem Baby wieder zusammen sein kann, wenn sich ihr Zustand stabilisiert hat. Das belastet die Mutter-Kind-Beziehung zusätzlich.
Daher kommt der Nachsorge nach dem Klinikaufenthalt große Bedeutung zu. In vielen Fällen ist für die betroffenen Mütter eine weitere psychotherapeutische Begleitung sinnvoll. Vor allem gilt es, zum Kind behutsam wieder eine Beziehung aufzubauen, ohne die Mutter zu überfordern. In dieser Phase tun ihr Gespräche mit einem fachlichen Gegenüber gut, in denen sie alle ihre Gefühle – auch häufig nachträgliche Schuld- und Versagensgefühle – wahrnehmen, aussprechen und bearbeiten kann.
Zusätzlich sind zu Hause nach der Überwindung der akuten Wochenbettpsychose eine zunächst engmaschigere Unterstützung durch die Hebamme, aber auch das Verständnis, Vertrauen und die Hilfe der Familie wertvoll.
Sollte die geheilte Frau wieder schwanger werden, besteht für sie nach der nächsten Geburt ein erhöhtes Risiko, dass sie erneut an einer Wochenbettpsychose erkrankt. Deshalb ist es besonders wichtig, dass sie sich bereits während der Schwangerschaft und sofort nach der Geburt von einer Hebamme verlässlich begleiten lässt. So kann frühzeitig und rechtzeitig reagiert werden, sobald sich erste Symptome zeigen.
Die wichtigste Selbsthilfemaßnahme besteht darin, aktiv zu bleiben und die fachlichen Ratschläge anzunehmen.
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Katharina Jeschke
Gründerin von elternundbaby.com und Hebamme, zertifizierte Erste Hilfe Trainerin, zertifizierte Schlafcaochin für Babys und Kinder
Als Hebamme, Schlafcoachin für Babys und Kinder, sowie als Erste Hilfe Trainerin unterstütze ich Frauen und Eltern dabei Schwangerschaft, Geburt und die Zeit als Eltern gut und entspannt zu gestalten. Ich bin selbst Mama von zwei bezaubernden Kindern.
Kinder sollen sicher und geborgen wachsen können. Dafür brauchen sie starke Eltern, die mit Wissen und Intuition die Entwicklung ihrer Kinder begleiten. Meine Hebammenhilfe soll Eltern das Wissen und Vertrauen geben, das sie ihren individuellen Weg finden und gehen können.
Dieser Blog elternundbaby.com ergänzt meine online Hebammensprechstunde und meine online Kurse von notdiensthebamme.de