Kinder besitzen bei ihrer Geburt verschiedene Reflexe, die ihnen automatisch Schutz und Überlebenschancen sowie gute Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Hier möchte ich euch einen kleinen Überblick darüber geben und auch erklären, wozu diese Reflexe (einst) dienten.

Was ist ein Reflex?

Mit Reflex bezeichnet man eine schnelle, unwillkürliche Reaktion des Körpers auf einen bestimmten Reiz. Solche reflexhaften Reaktionen erfolgen ohne bewusste Kontrolle durch das Gehirn. Sie dienen dazu, den Körper zu schützen und seine Funktionen zu erhalten – also zu überleben. Daher sind Reflexe ein wichtiger Bestandteil des Nervensystems. Sie helfen, den Menschen vor Schäden zu bewahren und bestimmte motorische Funktionen zu steuern.

Alle Reflexe von Neugeborenen haben diese gemeinsamen Merkmale: 

Erstens erfolgen sie schnell. Quasi in Bruchteilen von Sekunden ist der Körper in der Lage, auf einen möglichen (auch schädlichen) Reiz zu reagieren. Kaum wird er wahrgenommen, folgt der passende Reflex auch schon prompt. 

Zweitens sind sie unwillkürlich. Das bedeutet: Sietreten ohne jede bewusste Entscheidung oder Kontrolle auf, sondern werden automatisch durch bestimmte Reize ausgelöst.

Drittens ist jeder Reflex einzigartig. Jeder reagiert auf einen spezifischen Reiz, der ihn auslöst, und jeder hat seine ganz eigene spezifische Reaktion, die darauf folgt.

Viertens sind Reflexe vorhersagbar. Die Reaktion auf einen bestimmten Reiz ist immer die gleiche und kann daher vorausgesehen werden.

Fünftens sind Reflexe unveränderlich. Gerade weilsie im Nervensystem fest verankert sind, ändern sich Reflexe im Allgemeinen nicht durch Lernen oder Erfahrung. Sie können dem Baby nicht „abtrainiert“ werden, sondern ändern sich lediglich „naturhaft“ von selbst, beispielsweise indem sie mit zunehmender Lebenszeit allmählich verschwinden bzw. durch neue Fähigkeiten ersetzt werden.

Einige Reflexe bleiben dem Menschen jedoch lebenslang erhalten. Zum Beispiel der Lidschlussreflex. Er wird ausgelöst durch ein plötzliches helles Licht oder einen schnellen Gegenstand in der Nähe unserer Augen. Als Reaktion auf solche Reize schließen wir unwillkürlich unsere Augenlider. Ein anderes Beispiel ist der Hustenreflex: Werden unsere Atemwege durch etwas gereizt, atmen wir automatisch sehr kräftig aus (Husten), um die Atemwege zu befreien.

Kurz: Reflexe sind uns angeboren und ermöglichen unserem Körper, schnell und effektiv u.a. auf verschiedene Bedrohungen zu reagieren. So sichern sie uns auch das Überleben. Schauen wir uns in diesem Zusammenhang nun einige wichtige Reflexe bei Neugeborenen an.

Der Suchreflex beim Baby

Dieser angeborene Reflex wird ausgelöst, wenn wir einem neugeborenen Säugling zum Beispiel mit einem Finger leicht über eine Wange streichen oder sanft seine Lippen bzw. den Mund berühren. Dann dreht das Kind seinen Kopf automatisch in Richtung der Berührung und sucht nach einer Brustwarze bzw. einem Schnuller. Daher der Begriff Suchreflex. Sobald das Baby gefunden hat, wonach es suchte, öffnet es den Mund und beginnt zu saugen. Dieser Vorgang ist eng mit dem Saugreflex verbunden, der ebenfalls ein angeborener Reflex bei Neugeborenen ist.

Der Suchreflex ist ein Überlebensmechanismus, der in den ersten Lebensmonaten eines Babys besonders wichtig ist. Als Teil des genetischen Programms stellt er sicher, dass das Baby in der Lage ist, Nahrung zu finden und aufzunehmen. Da das Stillen die primäre Nahrungsquelle für Neugeborene ist (bzw. sein sollte), hilft der Reflex dem Kind, die mütterliche Brust zu finden. Evolutionär hat er so die Chancen der Neugeborenen auf Überleben, die beste Ernährung und damit optimale Entwicklungsmöglichkeiten und Wachstum erhöht. 

Wie alle Reflexe, so wird auch der Suchreflex durch das zentrale Nervensystem gesteuert und ist bei den allermeisten gesunden Neugeborenen vorhanden. Manchmal kommen Kinder aber auch ohne ihn zur Welt. Ein fehlender oder sehr schwach ausgeprägter Suchreflex kann u.a. auf verschiedene neurologische oder muskuläre Probleme hinweisen, bei Frühgeborenen mit noch unreifem Nervensystem auftreten oder von einem Mangel an bestimmten Nährstoffen bzw. einem Ungleichgewicht im Stoffwechsel begründet sein. In jedem Fall wird einem nicht vorhandenen Suchreflex ärztlicherseits bei den Vorsorgeuntersuchungen des Kindes immer nachgegangen. Denn eine frühzeitige Diagnose und ggf. Intervention sind entscheidend, um die Entwicklung und das Wohlbefinden des Babys zu fördern.

Der Saug- und Schluckreflex des Babys

Diese beiden Reflexe bei Neugeborenen sind die wichtigsten für die Nahrungsaufnahme und das Überleben des Babys. Sie ermöglichen dem Säugling effektives Trinken aus der mütterlichen Brust oder dem Fläschchen.

Der Saugreflex wird aktiviert, wenn die Lippen oder der Gaumen des Babys mit einem Objekt wie einer Brustwarze, einem Schnuller oder einem Flaschensauger in Kontakt kommen. Das Kind beginnt dann sofort mit rhythmischen Saugbewegungen, damit die überlebenswichtige Milch in sein Mündchen läuft. Dieser Reflex dient also in erster Linie der Nahrungsaufnahme. Das Saugen hat aber auch eine beruhigende Wirkung auf Babys. Viele Säuglinge finden Komfort und Sicherheit im rhythmischen Saugen, sei es an der Brust, einer Flasche oder einem Schnuller. Zugleich hilft der Saugreflex bei der Entwicklung der Muskeln und Bewegungen im Mund. Denn die Mundmotorik ist später für die Aufnahme von fester Nahrung sowie für die Sprachentwicklung von Bedeutung.

Der Schluckreflex wiederumermöglicht dem Baby, die aufgenommene Flüssigkeit sicher in die Speiseröhre zu befördern, von wo die Nahrung dann in den Magen rutscht. Dieser Reflex sorgt also für den richtigen Weg der Milch, indem während des Schluckens automatisch der Kehldeckel (Epiglottis) verschlossen wird. So kann keine Nahrung in die Atemwege gelangen.

Stimuliert wird der Schluckreflex, wenn Flüssigkeit oder Nahrung den hinteren Teil des Mundes erreicht und den Gaumen berührt. Er beinhaltet automatisch eine feine koordinierte Bewegung der Zungen-, Gaumen- und Rachenmuskulatur.

Bewundernswert ist auch das optimale Zusammenspiel von Saug- und Schluckreflex. Beides muss nämlich eng koordiniert sein, um eine reibungslose und effiziente Nahrungsaufnahme zu ermöglichen. Das Baby muss also die richtige Abfolge von Saugen, Atmen und Schlucken praktizieren. Mit der Zeit verfeinert, integriert und kontrolliert es deshalb diese Reflexe immer besser. Das sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass es später auch andere Formen der Nahrungsaufnahme erlernen und feste Nahrung zu sich zu nehmen kann.

Einige Neugeborene können jedoch mit schwachen oder gar fehlenden Saug- und Schluckreflexen geboren werden. Das liegt in den meisten Fällen an einer anstrengenden Geburt oder auch an Schmerzmedikamenten, die der Mama während der Geburt verabreicht worden sind. Diese Saugschwäche ist eine vorübergehende Störung, die sich in den ersten Lebensstunden, bzw. Lebenstagen verwächst. Bleibt das Problem bestehen, so könnte dies, wie bei einem fehlenden Suchreflex, ein Hinweis  auf neurologische, muskuläre oder andere ernstzunehmenden Entwicklungsprobleme sein. Bei frühzeitiger Erkennung können diese Kinder auch physiotherapeutisch, logopädisch oder durch spezielle Fütterungstechniken so unterstützt werden, dass sich diese Reflexe noch entwickeln.

Der Greifreflex des Babys

Der Greifreflex wird auch als Palmarreflex oder Palmarer Greifreflex bezeichnet und durch Berührung der Handfläche des Babys ausgelöst wird. Wenn ein Objekt, zum Beispiel ein Finger, über die Innenhandfläche des Säuglings streicht, umschließen die kleinen Finger automatisch das Objekt (z.B. den Finger) und drücken fest zu. Dieser Reflex ist in den ersten Lebensmonaten stark ausgeprägt. Er tritt sowohl an den Händen als auch an den Füßchen auf (dort als Plantarreflex bekannt). Denn berührt man die Fußsohle, so beugt das Baby seine Zehen und rollt seinen Fuß ein. 

Das ist ein Erbe aus alter Zeit, als sich der Nachwuchs noch fest mit Händen und Füßen an seine Mutter klammerte – eine wichtige Überlebens- und Schutzfunktion, wenn Gefahr drohte oder das Kind getragen wurde, während die Mama sich von Baum zu Baum schwang. Noch heute können wir den Greifreflex gut bei vielen Affenbabys (z.B. Schimpansen) beobachten. 

Der Greifreflex demonstriert eindrucksvoll die frühkindlichen motorischen Fähigkeiten und hat verschiedene Bedeutungen und Funktionen. Er wird durch sensorische Nerven in der Handfläche und motorische Nerven gesteuert, die die Muskeln der Finger aktivieren. Verarbeitet werden diese über das Rückenmark und das Gehirn. 

Das Gute daran: Der Greifreflex stärkt nicht nur die Bindung zwischen dem Baby und seinen Bezugspersonen, sondern legt auch den Grundstein für die Entwicklung der Feinmotorik. Während das Baby älter wird, lernt es auch, diesen Reflex mehr und mehr zu kontrollieren und so zu verfeinern, dass es bald gezielt Objekte greifen, halten und benutzen kann – zum Beispiel beim Spielen. Im Allgemeinen nimmt der Greifreflex der Hand etwa ab dem dritten Lebensmonat ab und ist bis zum sechsten Lebensmonat normalerweise verschwunden. Ersetzt wird er dann durch bewusstere Greifbewegungen. Der Fußgreifreflex wiederum begleitet das Kind noch einige Monate länger.

Darüber hinaus gibt insbesondere der Handgreifreflex gute Anhaltspunkte für die neurologische Gesundheit und Entwicklung eines Neugeborenen. Hebammen und Kinderärzt*innen können anhand dieses Reflexes z.B. das Funktionieren des Nervensystems überprüfen. Ihr kennt das vielleicht schon von der Vorsorgeuntersuchung, wenn der liegende Säugling ein Stückchen hochgezogen wird, während er sich mit seinen Händchen an die erwachsenen Finger klammert. Besteht der Reflex wiederum deutlich länger als gewöhnlich oder fehlt im Gegenteil, so kann das auf neurologische bzw. muskuläre Probleme oder Entwicklungsstörungen hinweisen.

Übrigens: Bei frühgeborenen Babys kann der Greifreflex geringer ausgeprägt oder verzögert sein. Dies liegt daran, dass das Nervensystem noch nicht vollständig entwickelt ist. Mit fortschreitender Reifung des Kindes kann sich der Reflex jedoch normalisieren.

Der Schreitreflex des Babys

Auch dieser angeborene Reflex ist faszinierend! Du kannst ihn beobachten, wenn ein Säugling aufrecht unter den Armen gehalten wird, sodass seine Fußsohlen eine feste Oberfläche berühren. Dann beginnt das Kind, seine Beinchen abwechselnd so zu heben und zu senken, als würde es gehen. Gesteuert werden diese Bewegungen durch das Zusammenspiel von sensorischen und motorischen Nerven. Die Signale, die von Babys Füßchen gesendet werden, lösen motorische Reaktionen aus, die wiederum die Beinbewegungen koordinieren.

Dieses Phänomen tritt normalerweise innerhalb der ersten zwei Monate nach der Geburt auf und verschwindet dann allmählich. Es wird durch gezieltere und bewusstere Bewegungen abgelöst, wenn das Kind älter ist und seine motorischen Fähigkeiten weiterentwickelt sind.

Bis dahin ist der Schreitreflex ein wichtiger Grundstein für das spätere Laufen lernen. Er zeigt, dass die grundlegenden neuronalen Netzwerke und Muskelgruppen, die für das Gehen notwendig sind, bereits vorhanden und funktionsfähig sind. Darüber hinaus werden die Beinmuskulatur gestärkt und die Koordination zwischen den fürs Gehen nötigen Muskelgruppen gefördert. 

Im evolutionären Rückblick könnte man also sagen: Ohne den Schreitreflex hätte der Mensch wohl nie zum aufrechten Gang gefunden.

Nur selten ist ein Säugling ohne oder mit nur sehr schwachem Schreitreflex bzw. mit einem ungewöhnlich langen ausgestattet. Kinderärzt*innen werden das wie bei allen anderen Reflexen natürlich sorgfältig überprüfen. Gegebenenfalls folgt darauf eine umfassende medizinische Untersuchung, um die Ursache zu ermitteln sowie therapeutische Maßnahmen einzuleiten.

Der Mororeflex beim Baby

Dieses automatische Phänomen ist auch als sogenannter „Schreckreflex“ bekannt und ein Schutzmechanismus. Er macht das Neugeborene auf potenzielle Gefahren aufmerksam und soll es vor plötzlichen Bedrohungen schützen. Der Motoreflex wird durch unerwartete Reize wie z.B. ein starkes Geräusch oder eine plötzlich wahrgenommene Bewegung aktiviert – manchmal aber auch vom Gefühl des Kindes, plötzlich keine Unterstützung mehr zu haben oder zu „fallen“. 

Auf derartige Reize folgt eine spezifische Reaktion des Kindes: Es breitet meist ruckartig seine Arme und Beine weit aus und legt dann die Arme schnell wieder an den Körper an. Eltern erleben das manchmal sehr richtig als eine Art „Schutzbewegung“. Dabei kann das Kind auch den Kopf zurückziehen und den Mund weit öffnen, so als ob es erschreckt oder überrascht wäre.

Diese Reaktionsweise wird durch das zentrale Nervensystem gesteuert, insbesondere durch die Reaktion des Gehirns und des Rückenmarks auf plötzliche Reize. Die motorischen Signale, die durch das Nervensystem gesendet werden, führen dann zu den beschriebenen Bewegungen.

Weil dieser Reflex in den ersten Lebensmonaten stark ausgeprägt ist, kann man an ihm auch gut die neurologische Gesundheit eines Kindes ablesen. Deshalb nutzen Kinderärzt*innen ihn auch als Teil der Entwicklungsuntersuchungen, um mögliche Störungen oder Anomalien frühzeitig zu identifizieren. Zwischen dem dritten und sechsten Lebensmonat entwickeln Babys dann ihre Fähigkeit mit zunehmender neurologischer Reifung weiter, bewusster und gezielter auf unerwartete Reize zu reagieren. Damit verliert sich der Mororeflex allmählich.

Der Atemanhaltereflex des Babys

Tatsächlich besitzen Säuglinge mit dem Atemanhaltereflex die Fähigkeit, unter Wasser zu tauchen und dabei nicht zu atmen. Der Atemanhaltereflex schützt das Baby vor dem Ertrinken. Dieser geht in den ersten Wochen bis Monaten verloren. Nicht wenige Eltern sind vom Anhaltereflex des Babys so begeistert, dass sie mit ihrem Baby eigens zum „Babyschwimmen“ gehen, um genau das live mitzuerleben. Ich halte das jedoch aus verschiedenen Gründen für so problematisch, dass ich diesem Thema einen eigenen Beitrag auf meinem Blog widme. Hier könnt ihr dazu gleich weiterlesen! 

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Katharina Jeschke

Katharina Jeschke

Gründerin von elternundbaby.com und Hebamme, zertifizierte Erste Hilfe Trainerin, zertifizierte Schlafcaochin für Babys und Kinder

Als Hebamme, Schlafcoachin für Babys und Kinder, sowie als Erste Hilfe Trainerin  unterstütze ich Frauen und Eltern dabei Schwangerschaft, Geburt und die Zeit als Eltern gut und entspannt zu gestalten. Ich bin selbst Mama von zwei bezaubernden Kindern.

Kinder sollen sicher und geborgen wachsen können. Dafür brauchen sie starke Eltern, die mit Wissen und Intuition die Entwicklung ihrer Kinder begleiten. Meine Hebammenhilfe soll Eltern das Wissen und Vertrauen geben, das sie ihren individuellen Weg finden und gehen können.

Dieser Blog elternundbaby.com ergänzt meine online Hebammensprechstunde und meine online Kurse von notdiensthebamme.de