Vorlesen ist für die Entwicklung von Kindern wichtig. Es fördert nicht nur die Sprach- und Lesefähigkeit, sondern befriedigt auch das kindliche Bedürfnis nach Nähe und Bindung.
Im Durchschnitt beginnen Mütter und Väter mit dem Vorlesen, wenn ihr Kind 10 Monate alt ist. Damit tun sie für sehr viel Gutes! Denn Säuglinge in diesem Alter sind schon so weit entwickelt, dass sie das Vorlesen genießen können.
Viele Eltern nutzen Bilderbücher für die Kleinsten ganz intuitiv, um sich und dem Baby ein gemütliches Päuschen zu gönnen. Den meisten Müttern und Vätern ist dabei gar nicht bewusst, dass der positive Effekt dieser Art frühe Bildung auf die Entwicklung des Kindes bereits vielfach wissenschaftlich belegt ist. Der größte und wichtigste nachgewiesene Nutzen fürs Baby: Wenn Eltern ihm regelmäßig vorlesen, hilft das dem Kind enorm, sprechen zu lernen. Hier trifft das bekannte Sprichwort „Der frühe Vogel fängt den Wurm“ den Nagel auf den Kopf.
Bleiben wir aber zunächst nochmal bei der Gemütlichkeit der Vorlese-Situation. Dieses Gefühl empfinden nämlich nicht nur die Kinder dabei, sondern auch die Eltern. Denn Vorlesen – oder besser gesagt: mit dem Kind ein Bilderbuch anschauen und darüber sprechen – bedeutet für beide zuallererst wohlige Nähe und innig erlebte Bindung. Meist kuschelt sich das Baby dabei auf Mamas oder Papas Schoß, während das Büchlein von den erwachsenen Händen gehalten wird. Ich denke da gerade an verschiedene Bilderbücher, die das Kind zum Beispiel mit unterschiedlichen Haustieren bekannt macht. „Oh, da ist die Kuh!“, sagt die Mutter und zeigt mit dem Finger auf das entsprechende Bild. „Die Kuh macht Muuuh!“ Dann schaut sie ihr Baby an, spitzt noch einmal die Lippen und macht erneut „Muuh!“
Das Lämmchen macht „Määääh“, der Frosch macht „Quak“, der Esel „Iaa“. So lernt das Kind allmählich, die abgebildeten Tiere mit bestimmten Bezeichnungen zu verbinden, die sich zunächst als passives Wortwissen in seinem Köpfchen abspeichern. Wird das Bilderbuch öfter vorgelesen, kannst du bald erleben, dass dein Kind mit seinen kleinen dicken Fingerchen nach kurzer Zeit schon selbst auf das genannte Tier zeigen wird. „Wo ist die Kuh? – Genau! Da ist die Kuh!“ Und wenn Mama oder Papa dann mit verstellter Stimme auch noch Muuuh machen, fliegt sehr bald ein vergnügtes Lachen über Babys Gesicht. So könnt ihr viel Spaß beim Vorlesen mit eurem Zwerglein haben – vor allem, wenn die Kuh dann irgendwann nicht mehr Muuuh macht, sondern wie ein Frosch quakt oder wie ein Schweinchen grunzt. Dann wird euer Kind euren „Fehler“ rasch bemerken und sich darüber beömmeln! Und es wird allmählich auch versuchen, die Worte und Tier-Laute nachzuahmen. Mehr Spaß könnt ihr zusammen gar nicht haben!
Und ganz nebenbei erweitert sich auf diese spielerische Weise der Wortschatz bei eurem Kind. Erst passiv, also als Wiedererkennung und richtige Zuordnung des Wortes, dann auch aktiv, also selbst ausgesprochen. Außerdem fördert das Vorlesen die Konzentration und Fantasie eurer Kinder.
Das funktioniert mit jedem Buch, das für die Kleinen thematisch geeignet ist. Besteht es aus festerer Pappe, so kann dein Kind auch beim Umblättern helfen. Oder es möchte unbedingt nochmal zurückblättern, weil auf der Vorseite vielleicht sein Lieblingstier über die Wiese gewatschelt ist. Denn auch ganz junge Kinder haben schon ihre Vorlieben und ganz eigenen Interessen. Das zeigt sich manchmal auch, wenn ihnen zwei schon bekannte Bücher zur Auswahl gezeigt werden: Nicht selten greift das Baby dann sehr bestimmt zu seinem bevorzugten Titel. Und später, wenn es schon Laufen kann, wird es auch gern allein ein Buch anschauen oder es euch zum Vorlesen bringen.
Was auch ganz wichtig ist: Es wäre gut, wenn ihr mit eurem Kind nicht nur deshalb ein paar Vorlese-Minuten einlegt, weil sein Sprechvermögen dadurch gestärkt wird, sondern weil ihr selbst daran auch wirkliche Freude habt. Diese wird dann garantiert auf euren Nachwuchs überspringen. Solltest du deinem Baby jedoch lediglich aus reinen Vernunftgründen vorlesen wollen, so wird dein Kind auch das rasch bemerken und das Interesse am gemeinsamen Lesespaß rasch verlieren, noch bevor es überhaupt geweckt wurde.
Eigentlich ist es mit dem Vorlesen wie bei allen Sachen, die das Kind neu kennenlernt: Man macht das Baby damit langsam und in kleinen Portionen vertraut. Immer wiederkehrend ein paar kleine Minütchen Vorlesezeit – und nicht verzagen, wenn dein Baby nicht sofort Hurra schreit. Wie gesagt: Die Welt der Bücher und des Erzählens darüber oder des Vorlesens will auch erst entdeckt werden. Also sind auch hier eure Geduld und stetig neue Versuche gefordert.
Übrigens: Die Wissenschaft hat belegt, dass frühes regelmäßiges Vorlesen nicht nur den Spracherwerb an sich, sondern auch die Vorläuferfertigkeiten für den schriftlichen Spracherwerbs stärkt. Letztlich legen Eltern damit also auch einen wichtigen Baustein für einen späteren Schulerfolg, aber das nur nebenbei. Wenn euer Nachwuchs gerade erst seinen ersten Geburtstag gefeiert hat, müsst ihr euch über die Schule gewisslich noch keine Gedanken machen.
Überlegt euch lieber, wie ihr den richtigen Zeitpunkt für eine Runde Vorlesen erwischen könnt. Manche Babys und Kleinkinder schätzen das als schönes Ritual vor dem Schlafengehen, andere mögen diese entspannte Lese-Kuschelzeit nach dem Baden oder der Mahlzeit. Ist das Baby dagegen hungrig, übermüdet oder genervt, werdet ihr mit dem Vorlesen kein Glück haben, selbst wenn es auf dem Sofa noch so gemütlich ist. Denn auch die Konzentration verlangt dem Kind noch Energie ab.
Hier noch zwei weitere Tipps für gelingende Vorlese-Situationen:
• Nutze zum Vorlesen immer deine „Herzenssprache“, also jene Sprache, in der du dich gefühlsmäßig am wohlsten fühlst.
- Sorge beim Vorlesen für einen gemütlichen Ort und ein ruhiges Umfeld. Je weniger Störungen (z.B. Anrufe, ältere Geschwister) und Nebengeräusche (z.B. Radio, Fernseher) eure Zweisamkeit beeinträchtigen, desto schönere Minuten könnt ihr zusammen mit einem Buch verbringen.
Mein Hebammentipp: Das Buch zum Vorlesen mit Anregungen für das Abendritual: „Wenn am Himmel Sterne stehen“
Und noch etwas: Ich persönlich bin ein großer Bücherfan und habe selbst die Erstlingsbücher meiner heute erwachsenen Kinder aufgehoben. Ich mag diese gebundenen Exemplare mit ihren liebevollen Illustrationen und meist dicken Pappseiten, weil das Kind sie sinnlich begreifen und darin selbständig blättern kann.
Manche Ausgaben sind z.B. als Stoffbücher gestaltet. An diesem weichen ersten „Lesestoff“ können Babys auch wunderbar „kauen“ und nuckeln. In anderen Büchern gibt es bestimmte Bilder zum Anfühlen (Fühl-Bücher), also etwa eine Katze oder ein Mäuschen mit „richtigem“ Fell, das sich streicheln lässt. Wieder andere Ausgaben sorgen mit eingeschnittenen Gucklöchern auf den Innenseiten für schöne Überraschungen (Guckloch-Bücher). Aus noch anderen Exemplaren kräht, muht oder grunzt es hörbar heraus (Sound-Bilderbücher). Das mag manchen Eltern gefallen – ich selbst finde es aber viel unterhaltsamer fürs Baby und auch spaßiger für uns Erwachsene, wenn wir selbst krähen, muhen, grunzen oder treckern (töftöf). Ob mit kräftiger, leiser oder verstellter Stimme – immer sind die Laute selbst gemacht und werden von Mimik begleitet. So kann das Kind die Informationen nicht nur am besten aufnehmen, weil die Geräusche und Laute nicht anonym aus dem Buch herausquäken, sondern es hat auch das meiste Vergnügen daran.
Aber nur, weil ich Bücher besonders mag, muss das nicht für alle Eltern gelten. Zumal der Bücherkauf auch kein ganz billiger Spaß ist. Das weiß auch die Stiftung lesen, die das Vorlesen und Lesen generell und auch das frühe Vorlesen fördern möchte. Dazu bietet sie eigens die Website lesestart.de im Internet an. Hier könnt ihr kostenfrei einige Lesestart-Geschichten ab 1 Jahr, ab 2 Jahre oder ab 3 Jahre digital vorlesen: Einfach das entsprechende Alter und einen Titel anwählen – und los geht`s! Die angebotenen Titel wechseln häufiger. Am besten funktioniert die digitale Methode auf dem Tablet, denn der Bildschirm des Smartphones ist für das Kind zu klein.
Auch wenn die digitalen Bücher nicht zum Anfassen und sinnlichen Erleben sind – besser als gar nicht vorlesen ist diese Möglichkeit allemal!
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Katharina Jeschke
Gründerin von elternundbaby.com und Hebamme
Als Geburtshausleiterin, Hebamme und Mutter unterstütze ich Frauen dabei ihre Herausforderung während, vor und nach der Schwangerschaft besser zu bewältigen.
Um noch mehr Frauen zu erreichen, startete ich elternundbaby.com. Ich freue mich darauf, dich hier begrüßen zu dürfen.