„Wie geht es Ihnen bzw. dir? Und wie geht’s dem Baby?“ Wenn du schwanger bist, wirst du solche Fragen sehr oft hören. Die ganze Familie, Freundinnen und Freunde, Arbeitskolleg*innen und Nachbar*innen – im Umfeld der Frau beweisen die allermeisten reges Interesse am Verlauf ihrer Schwangerschaft. Und natürlich interessieren sich die Hebamme, die dich in diesen Monaten begleitet, sowie deine Frauenärztin bzw. dein Frauenarzt für dein Befinden und das Wohlergehen deines Babys. 

Zahlen und Fakten zu Frühgeburten

Aber selbst wenn eine Schwangere sozial gut einbettet und medizinisch bestens begleitet ist, kann es sein, dass ein Ungeborenes vor seiner Zeit auf die Welt drängt. Mittlerweile werden in Deutschland jedes Jahr rund 64.500 Babys zu früh geboren. Das ist etwa jedes 10. Kind. Dabei ist „zu früh“ klar definiert. Es bedeutet: Die Geburt erfolgt vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche – oder das Baby weist ein Geburtsgewicht von weniger als 2.500 Gramm auf. Und das ist gar nicht so selten: Mehr als 10.000 der sogenannten Frühgeborenen kommen sogar mit einem Geburtsgewicht von unter 1.500 Gramm zur Welt.

• Eine extreme Frühgeburt liegt vor der vollendeten 28. Schwangerschaftswoche vor. Ein Geburtsgewicht von unter 1.000 Gramm ist dann nicht selten. 

• Von einer frühen Frühgeburt spricht man, wenn das Kind zwischen der vollendeten 28. Schwangerschaftswoche und der noch nicht vollendeten 32. Schwangerschaftswoche zur Welt kommt. Diese Kinder wiegen meist unter 1.500 Gramm.

• Als späte oder mäßige Frühgeburt gelten Geburten nach der vollendeten 32. und vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche. Diese Babys kommen in der Regel mit unter 2.500 Gramm auf die Welt.  

Doch das sind alles nur Zahlen und statistische Werte. Hinter jedem einzelnen Fall, der in die Frühgeborenen-Statistik eingeht, steht jedoch eine Familie zwischen Hoffen und Bangen. Da sind die Eltern, die möglicherweise Entscheidungen treffen müssen, und da ist ein winziges Menschlein, das auf dieser Welt ins Leben finden muss. Dank moderner Intensivmedizin für Neugeborene (in der Fachsprache: Neonatologie) haben Frühchen heute so gute Überlebenschancen wie nie zuvor. Tatsächlich können mittlerweile sogar extrem unreife Babys, die ab der 22. Schwangerschaftswoche zur Welt kommen, bereits intensivmedizinisch behandelt werden. Ob das in jedem Einzelfall auch sinnvoll erscheint, wägt das Ärzteteam gemeinsam mit den jeweils betroffenen Eltern stets sorgfältig ab. 

Aber auch das ist leider Realität: Kinder, die vor der vollendeten 22. Schwangerschaftswoche zur Welt kommen, haben in der Regel keine Überlebenschance. Schließlich muss beim Baby die Lunge wenigstens so weit entwickelt sein, dass sie mit technischer Hilfe die Sauerstoffsättigung für den kleinen Körper sicherstellen kann. Intrauterin übernimmt diese Aufgabe die Plazenta. Sobald das Baby den Bauch der Mama verlassen hat, muss es selbst atmen können. Die Entwicklung und Reife der Lunge markiert die Grenze zur Lebensfähigkeit bei Frühgeborenen.

Grundsätzlich gilt: Je früher ein Kind geboren wird, desto höher ist auch sein Risiko für (auch gegebenenfalls schwere) körperliche und geistige Beeinträchtigungen. Im Umkehrschluss heißt das: Jeder Tag, jede Woche, die das Baby länger im Mutterleib heranwächst, verbessert seine Chance auf Überleben und bestmögliche Gesundheit. 

Als eine Art „Meilenstein“ auf diesem Weg gilt die vollendete 24. Schwangerschaftswoche . Das Ungeborene ist jetzt etwa 29 Zentimeter groß und wiegt ca. 550 Gramm. Kinder, die zu diesem Zeitpunkt geboren werden, besitzen bereits eine Überlebenschance von 60 bis 80 Prozent. Und noch etwas tritt hinzu: Jetzt sind die Ärztinnen bzw. Ärzte auch rechtlich dazu verpflichtet, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, das kleine Leben möglichst zu retten. 

Die meisten Frühchen werden zwischen der 32. und 37. Schwangerschaftswoche geboren. Wenn das Baby bei der Geburt zwischen 1.000 und 1.500 Gramm wiegt, liegt seine Überlebenswahrscheinlichkeit bereits bei 91 Prozent.

Mögliche Gründe für eine Frühgeburt

Es gibt verschiedene Faktoren, die das Risiko für eine Frühgeburt erhöhen beziehungsweise eine Frühgeburt auslösen können. Dabei liegen die Ursachen teils bei der Mutter, teils beim Kind. Manchmal wirken auch verschiedene Umstände beidseitig zusammen. Es gibt aber immer wieder auch Fälle, in denen sich die Ursache einfach nicht eindeutig feststellen lässt. 

Oft ist die Gefahr einer Frühgeburt erhöht, wenn eine Risikoschwangerschaft diagnostiziert wurde. Im Folgenden möchte ich euch die wesentlichen Gründe kurz vorstellen, die Einfluss auf eine verfrühte Geburt haben können:

(Vor-)Erkrankungen der Mutter: Bestimmte Erkrankungen der Mutter, die bereits vor der Schwangerschaft bestanden haben, etwa Diabetes mellitus oder Bluthochdruck, können ein höheres Risiko für eine Frühgeburt bedeuten. Aber auch schwangerschaftsbedingte Erkrankungen wie beispielsweise Präeklampsie oder das HELLP Syndrom können gefährlich werden. 

Infektionen der Schwangeren: In vielen Fällen sind akute Infektionen der Auslöser für vorzeitige Wehen. Das gilt vor allem für Blasen- oder Scheideninfektionen der Mutter, die sich in Richtung Gebärmutter ziehen können. Rechtzeitig erkannt, lässt sich das Problem jedoch medikamentös gut behandeln und das Risiko abwenden. Aber auch Infektionen im Mundbereich können zu Frühgeburten führen. Auch deshalb ist der Besuch beim Zahnarzt in der Schwangerschaft wichtig.

Plazenta-Probleme: Wenn die Plazenta beispielsweise an falscher Stelle vor dem Muttermund liegt (Plazenta praevia), kann das zur Frühgeburt führen. Gleiches gilt, wenn der Mutterkuchen das Kind nicht mehr ausreichend versorgt Plazentainsuffizienz) oder beginnt, sich von der Gebärmutterwand vorzeitig abzulösen.

Unregelmäßigkeiten bei der Gebärmutter: Eine Fehlbildung der Gebärmutter beeinträchtigt die regelhafte Entwicklung des Kindes. Und auch, wenn sich gutartige Wucherungen (Myome) an der Gebärmutter vergrößern, kann es zu einer Frühgeburt kommen. Denn dann bleibt zu wenig Platz für das Kind. Eine Frühgeburt kann zudem von einer Schwäche des Gebärmutterhalses (Zervix-Insuffizienz) ausgelöst werden, denn dann beginnt sich der Muttermund vorzeitig zu öffnen. Auch Blutungen können Auslöser von Frühgeburten sein. 

Lebensstil der Mutter: Wenn eine Schwangere viel Alkohol und Nikotin konsumiert, kann das die Gefahr erhöhen, dass das Kind zu früh auf die Welt kommt. Ebenso gilt schwere, körperlich anstrengende Arbeit als Risikofaktor. Neben diesen Ursachen können aber auch Lebensumstände, die eine starke psychische Belastung für die Frau mitbringen, eine Rolle spielen. Dazu gehören z.B. anhaltend starker Stress (etwa durch chronische Geldsorgen oder Partnerschaftskonflikte), heftige Angstgefühle (z.B. vor der Geburt oder vor der Zukunft), traumatische Ereignisse (etwa der Tod eines nahen Menschen), Gewalt am Arbeitsplatz (z.B. durch Mobbing) oder häusliche Gewalt.  

Kindliche Fehlbildungen: Ursache einerFrühgeburt können auch genetische Defekte oder krankhafte Fehlbildungen des Kindes sein. Als Beispiele sind hier etwa der sogenannte Offene Rücken (Spina bifida) oder Herzfehler zu nennen.

Sonstige Faktoren: Darüber hinaus besteht ein höheres Risiko für eine Frühgeburt bei Mehrlingsschwangerschaften, nach künstlicher Befruchtung oder durch starkes Über- bzw. Untergewicht der Mutter. Auch ihr Alter nimmt einen gewissen Einfluss, wenn die Frau unter 18 oder über 35 Jahre alt ist. Gleiches gilt auch für vorangegangene Frühgeburten.

Pävention

Grundsätzlich ist zu sagen: 

• Je besser eine Schwangere über die Vorgänge in ihrem Körper sowie über die Risikofaktoren für eine Frühgeburt informiert ist, desto eher kann sie ihren Lebensstil entsprechend anpassen. Das ist die beste Prävention!

•  Und je besser sich eine Schwangere auskennt, desto eher kann sie etwaige Auffälligkeiten erkennen und ihre Ärztin/ihren Arzt bzw. ihre Hebamme darüber informieren. Bei Hinweisen, etwa ein auffällig riechender Ausfluss (zeigt Infektion an) oder vorzeitige Wehen, kann dann entsprechend reagiert werden. 

Zeigen sich Anzeichen für eine drohende Frühgeburt, so werden die medizinischen Begleiter*innen versuchen, die Schwangerschaft so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. Je nach Ursache reicht hier manchmal schon absolute Schonung und Bettruhe für die Mutter, zum Teil auch im Krankenhaus. In anderen Fällen erhält sie zusätzlich z.B. Medikamente, die die Wehen hemmen bzw. die Gebärmutter entspannen. Oder es werden andere medizinische Maßnahmen wie etwa das Verschließen des Muttermundes vorgenommen. Ruhe und Schonung sind in allen Fällen trotzdem angesagt! Je nach Schwangerschaftswoche und Reifegrad des Ungeborenen können der Mutter bei drohender Frühgeburt außerdem auch Medikamente (Glukokortikoiden) verabreicht werden, die die Lungenreife beim Baby beschleunigen. 

Dennoch kann es trotz aller Maßnahmen manchmal unausweichlich sein, das Baby vorzeitig auf die Welt zu lassen – oder es zu holen, um eine größere Gefahr für Mutter und/oder Kind abzuwenden. 

Frühchen entbinden

Ob kleine „Frühstarter*innen“ vaginal geboren werden können oder per Kaiserschnitt auf die Welt kommen müssen, wird kontrovers diskutiert. Studien zeigen nicht, dass alle Frühgeborene  grundsätzlich operativ, also per Sectio, geboren werden müssen. Vielmehr ist es sinnvoll, eine individuelle Risikoeinschätzung zu machen. Dabei spielt  neben der Schwangerschaftswoche auch die Lage des Babys im Bauch eine wichtige Rolle bei der Entscheidung. Bedacht wird auch, ob es zusätzliche Risiken für die Mama oder das Baby gibt, die durch eine Sectio reduziert werden können.

Während bei einer Frühgeburt ab Schwangerschaftswoche 30+0 eher eine normale Geburt angestrebt wird, wenn das Baby in Schädellage liegt, wird bei einer Geburt aus Beckenendlage die Spontangeburt erst ab der Schwangerschaftswoche 36+0 empfohlen.

In der Regel ist bei vorzeitigen Geburten auch ein auf Frühgeborene spezialisiertes kinderärztliches Team zugegen, das sofort für den Winzling sorgen kann. Je nach Reife und Zustand des Kindes kann es Sauerstoff benötigen, muss ggf. auch beatmet und intensivmedizinisch behandelt werden. Sehr unreifen Kindern dient der Inkubator (Brutkasten) als wärmendes, sicheres und schützendes Nest.    

Frühchen stärken

Kinder, die vor der 37. Schwangerschaftswoche oder mit weniger als 2.500 Gramm geboren werden, benötigen vor allem zwei Dinge dringend: Muttermilch und Hautkontakt! Das gilt natürlich für alle Babys nach der Geburt – aber für Frühgeborene besonders!

„Känguru-Methode“: Die aktuelle Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nach der Auswertung von über 200 Studien lautet, noch vor dem Verlegen des Frühchens in einen Brutkasten Hautkontakt mit der Mutter oder alternativ dem anderen Elternteil zu ermöglichen. Das stärkt nicht nur die emotionale Eltern-Kind-Bindung, sondern erhöht auch die kindlichen Überlebenschancen. In immer mehr Kliniken werden die Eltern ohnehin in die Versorgung ihres Frühchens mit eingebunden. Dazu gehört auch regelmäßiges Kuscheln mit dem Baby Haut-an-Haut. Das ist unter dem Begriff „Känguru-Methode“ bekannt geworden und wird von beiden Elternteilen sowohl in der Entbindungsklinik als auch zu Hause praktiziert. 

Muttermilch: Zur Ernährung ist Muttermilch mit Abstand das Beste für die Winzlinge. Damit können sie sich bestmöglich entwickeln. Viele zu früh geborene Kinder sind aber oft noch gar nicht in der Lage, an Mamas Brust zu saugen. In diesen Fällen hilft abgepumpte Muttermilch, die – manchmal auch über eine Magensonde – dem Kind verabreicht wird. Kann die Mutter ihre Milch nicht abpumpen, so sollte auf den Vorrat in Muttermilchbanken zurückgegriffen werden. Extremen Frühgeborenen werden zunächst oft intravenös Nährstoffe zugeführt. Wenn der Darm dann gereifter ist und genug Kraft für die Verdauung vorhanden ist, können und sollten auch sie Muttermilch erhalten.  

Hilfe im Alltag finden

Für Mütter, die eine Frühgeburt erlebt habe, ist es jetzt besonders wichtig, Unterstützung zu haben. Dazu gehört auch der Austausch mit anderen Betroffenen, der außerordentlich hilfreich sein kann. Frühchen-Eltern finden Kontaktdaten beispielsweise von Selbsthilfegruppen, eine telefonische Elternhotline und viele weitere wertvolle Informationen und Broschüren beim Bundesverband Das frühgeborene Kind.

Nach einer Frühgeburt hat die Mutter auch Anspruch auf eine längere Mutterschutzfrist: nämlich jetzt 12 Wochen. Das heißt: In dieser Zeit darf die Frau vom Arbeitgeber nicht beschäftigt werden. 

Sind die Eltern mit dem Frühgeborenen zu Hause, spielt natürlich auch die Nachbetreuung und Begleitung durch eine Hebamme eine ganz wichtige Rolle. Falls es notwendig ist, können meine Kolleginnen die Familie bis zu einem Jahr begleiten. Bei ärztlicher Verordnung übernimmt die gesetzliche Krankenkasse dafür die Kosten. Im Rahmen der Sozialmedizinischen Nachsorge können auch unterschiedliche Fachkräfte wie etwa eine Kinderkrankenschwester die Familie im Alltag unterstützen. Voraussetzung für die Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenkasse ist ebenfalls eine ärztliche Verordnung, die bereits in der Geburtsklinik ausgestellt wird. Weitere Informationen dazu sowie mehr zum Netzwerk bundesweiter Nachsorgeeinrichtungen und Unterstützungsangebote finden Eltern auf dieser Internetseite.

Und nicht zuletzt bieten auch die Anlaufstellen des Netzwerks Frühe Hilfen 

Entwicklungschancen von Frühgeborenen

Auch diese Information will ich euch nicht vorenthalten: Die kritische Grenze für ein Frühchen, ohne Beeinträchtigung zu überleben, liegt nach heutigem Wissen bei der 25. vollendeten Schwangerschaftswoche. Wird ein Baby davor geboren und überlebt, so ist die Wahrscheinlichkeit für einen Sauerstoffmangel und Blutungen sehr hoch. Und doch gibt es immer wieder Beispiele, die zeigen, dass sich auch extrem Frühgeborene Kinder richtig gut entwickeln. 

Auch wenn die Zahl der Frühgeburten in den letzten Jahren nicht nennenswert gesunken ist, so ist die Zahl der Frühgeborenen, die überleben und sich gut entwickeln in den letzten Jahren immer höher geworden. Die allermeisten Frühgeborenen wachsen zu gesunden Kindern heran! Gerade „späte Frühstarter*innen“ (Geburt zwischen der 32. und 37. Schwangerschaftswoche) weisen kaum Rückstände in der Entwicklung auf. Diese haben sie meist rasch aufgeholt. Schon recht bald kann man sie von reif geborenen Kindern nicht mehr unterscheiden. 

Für frühere „Frühstarter*innen“ gilt allgemein: Je vorzeitiger ein Kind auf die Welt gestartet ist, desto mehr Zeit könnte es brauchen, um mit seiner Entwicklung aufzuschließen. 

Früher im Leben bedeutet späterer Beikoststart

Frühgeburten brauchen dennoch eine längere Säuglingszeit. Das liegt daran, dass in der Zeit bis zum errechneten Termin die fehlende Entwicklung der Schwangerschaft erst einmal nachholen müssen. Deshalb gilt für Frühgeborene als Anhaltspunkt für die Einführung der Beikost das Alter von 6 Monaten nach dem errechneten Termin. Aber auch für diese Kinder gilt, dass Eltern beim Start mit der Beikost auch die individuelle Entwicklungsgeschwindigkeit ihres Babys beachten dürfen und müssen. Schließlich entwickeln sich auch Frühgeborene unterschiedlich schnell.

Die Entwicklung von Frühgeburten kann durch eine innige Bindung und passende Förderung gut unterstützt werden. Frühgeborene profitieren in besonderem Maße von der fürsorglichen Zuwendung durch Babymassage.

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Katharina Jeschke

Katharina Jeschke

Gründerin von elternundbaby.com und Hebamme

Als Geburtshausleiterin, Hebamme und Mutter unterstütze ich Frauen dabei ihre Herausforderung während, vor und nach der Schwangerschaft besser zu bewältigen.

Um noch mehr Frauen zu erreichen, startete ich elternundbaby.com. Ich freue mich darauf, dich hier begrüßen zu dürfen.