Bereits in Mamas Bauch können Babys „sehen“: Sie können zumindest hell und dunkel unterscheiden. Und sehen vor allem eine bestimmte Farbe: Rot! Denn wann immer Licht durch die Bauchdecke der Mutter scheint, ist das Baby von rötlichem Licht umgeben. Mit der Geburt erblicken sie dann die vielgestaltige Welt. Für Neugeborene  ist sie jedoch noch nicht ganz so bunt und scharf konturiert wie für uns Erwachsene, denn der Sehsinn muss sich beim Baby erst noch entwickeln. 

Sehen zu können ist ein komplexes Zusammenspiel zwischen Augen und Gehirn. Vereinfacht bedeutet das: Wenn Lichtreize auf die Sinneszellen der Netzhaut treffen, lösen sie dort elektrische Impulse aus, die dann auf Nervenbahnen ans Gehirn weitergeleitet werden. Hier werden die Reize durch komplexe Bearbeitung als Bilder wahrgenommen. Doch Babys Gehirn muss erst noch lernen, die vielen neuen Eindrücke zu verarbeiten. Außerdem müssen sich für diese Fähigkeit die notwendigen Nervenzellen erst noch entwickeln.

So entwickelt sich das Sehen

Am Lebensanfang unterscheiden Babys mit ihrem Sehvermögen bereits Muster und Formen sowie vor allem Hell-Dunkel Kontraste. Sie können jedoch noch nicht so scharf sehen wie wir Erwachsenen, sondern nehmen ihre Umgebung eher schemenhaft wahr. 

Was die Natur aber prima eingerichtet hat: Auf eine Entfernung von 20 bis 30 Zentimetern sieht auch das sehr junge Kind scharf. So ganz „zufällig“ ist diese Distanz auch genau jener Abstand, mit dem sich Eltern intuitiv ihrem Kind zuwenden, also sich mit ihrem Gesicht dem kleinen Gesichtchen nähern. Und auch beim Stillen entspricht das etwa dem Abstand zwischen den Gesichtern von Mutter und Kind. So kann das Baby seine engsten Bezugspersonen gut sehen – und liebt es, deren Gesichter und Mimik ausgiebig zu studieren. 

Neugeborene sind auch nicht „farbenblind“, wie früher angenommen wurde. Insbesondere Blau können die meisten Babys zwar erst nach einigen Monaten erkennen, und für die Unterscheidung von Pastelltönen braucht ein Kind Jahre – aber auf Rot reagiert ein Kind vom ersten Tag an stark. Das hat die britische Wissenschaftlerin Dr. Anna Franklin in einer Farbstudie mit Säuglingen herausgefunden. Offenbar erinnert Rot die Kleinen an die vertraute Geborgenheit im Mutterleib.

Was du auch wissen solltest: Dein Baby bleibt erstmal noch eine ganze Weile sehr lichtempfindlich. Wenn ihr euren Nachwuchs also fotografiert – dann bitte unbedingt ohne Blitzlicht! Weil die hohe Blendempfindlichkeit bis zum sechsten Lebensmonat anhält, solltest du dein Kind schon deshalb auch nie der direkten Sonne aussetzen.

Dass Neugeborene in ihren ersten Wochen weiter Entferntes unscharf sehen, liegt daran, dass ihre Sehmuskeln bzw. der Sehnerv noch Training benötigen. Es erfordert nämlich für die kleinen Augen Anstrengung und Koordination, einen Gegenstand zu fokussieren. Vielfach ist ein Baby mit einem Monat dann bereits in der Lage, einer Sache mit den Augen zu folgen. Häufig passiert es dabei, dass Babys in dieser Phase schielen (sogenanntes physiologisches Schielen). Sie können nämlich ihre Augen noch nicht synchron bewegen, und die Augenmuskulatur ist oft noch etwas zu schwach, um die Augenbewegung „korrekt“ zu koordinieren. Das gibt sich jedoch regelmäßig, bis das Kind drei Monate alt ist. 

Mit drei bis vier Monaten kann das Kind verschiedene Farben besser erkennen. Jetzt mag es auch knalliges Orange und strahlendes Lila. Aber nur ein Drittel der Säuglinge interessiert sich laut der britischen Farbstudie für Grün – und nur ein Viertel für Gelb. Macht nichts, das kommt auch noch!

Ab etwa der 12. Woche entwickelt sich beim Kind auch das räumliche Sehen. Jetzt ist das Gehirn nämlich in der Lage, die beiden Bilder, die es mit dem linken und rechten Auge empfängt, zu einem einzigen Bild zusammenzusetzen. Das ermöglicht dem Baby auch, nach Gegenständen zu greifen, die es sieht. Mit viel Freude beginnt es, seine Hand-Augen-Koordination zu trainieren. Jetzt erkennen die Kleinen zunehmend sogar schon Dinge wieder. Bunte Bilder, ein Mobilé über dem Wickeltisch oder Kuscheltiere in bunten Farben mit klaren Farbkontrasten wecken ihre Aufmerksamkeit. 

Tipp: Ein erstes Baby-Fühlbuch fördert nicht nur das Sehen, sondern eben auch das Fühlen, Hören und die Sprachentwicklung . Später erfreuen sich die berühmten „Guckguck-Versteckspiele“ zunehmender Beliebtheit. So wird dein Kind begeistert sein, wenn Mamas oder Papas Gesicht, das hinter einem Tuch versteckt ist, plötzlich wieder auftaucht.

Interessant ist auch folgende Erkenntnis des Max-Planck-Instituts: Spätestens im Alter von vier Monaten erkennen Kinder schon die Blickrichtung einer anderen Person. Zeigt man ihnen ein Bild, auf dem jemand seinen Kopf und Blick zur Seite wendet, so richtet auch das Kind automatisch dorthin seine Aufmerksamkeit. Auf diese Weise nutzt das Baby dieses soziale Signal, um sich in der Welt zurecht zu finden und sich auf wichtige Dinge zu konzentrieren, so das Forscherteam.

Hat dein Baby Gegenstände bisher begeistert mit dem Mund untersucht, daran gelutscht, geleckt oder gesaugt (orale Phase), so erkundet es die Dinge jetzt zunehmend mit den Augen. Mit etwa sieben bis acht Monaten erkennen Kinder auch Gegenstände oder Spielzeuge außerhalb ihrer Reichweite. Das weckt ihr Interesse für ihre weitere Umgebung. So strecken Babys begeistert ihre Händchen aus, um das spannende „Ding da hinten“ zu bekommen. Diese Neugier mobilisiert wiederum ihren Wunsch, das Objekt auch irgendwie eigenständig zu erreichen – ganz gleich, ob rutschend, robbend oder krabbelnd. Dabei trainiert dein Kind ganz nebenbei auch seine Motorik.

Zu seinem ersten Geburtstag besitzt dein Kind etwa die Hälfte der Sehschärfe eines Erwachsenen. Auch weiter entfernte Personen kann es jetzt gut erkennen. Das Scharf-Sehen nimmt im Laufe seines zweiten und dritten Lebensjahres nochmals deutlich zu. Aber erst mit neun Jahren ist die Fähigkeit zum räumlichen Sehen soweit ausgeprägt, dass sie der eines Erwachsenen entspricht. Deswegen haben die meisten Erst- bis Drittklässler beispielsweise immer noch Schwierigkeiten, zuverlässig die Entfernung unterschiedlich großer Autos einzuschätzen. Das darf uns nicht wundern, denn erst mit 10 bis 12 Jahren ist der Bereich, den das Kind mit beiden Augen erfassen kann (das Gesichtsfeld), so groß wie der von uns Erwachsenen. 

Du siehst, das Sehenlernen ist ein langwieriger, komplizierter Prozess. Und das Sehenkönnen ist weit mehr, als nur etwas wahrzunehmen bzw. zu erkennen. Diese Fähigkeit beeinflusst ganzheitlich die Entwicklung deines Kindes allen Ebenen: körperlich, geistig und sozial. Immerhin nimmt der Mensch 80 Prozent aller Informationen, die ihn erreichen, über die Augen auf. 

Sehtests vom Lebensanfang an 

Je früher eine Fehlsichtigkeit bei Kindern entdeckt wird, desto besser kann diese therapiert werden. Vielleicht fragst du dich jetzt, wie man bei kleinen Kindern herausfindet, dass eine Sehschwäche vorliegt. Schließlich kennen sie es nicht anders und wissen nicht, was eine „normale“ Sicht ist. Und die ganz Kleinen können sich sowieso noch nicht entsprechend artikulieren. Außerdem denken Eltern vielleicht: Eine Sehschwäche ist ja nicht so schlimm, sie tut jedenfalls nicht weh – anders als ein schmerzendes Bäuchlein. 

Doch bereits bei der U1 werden die Augen des Neugeborenen äußerlich begutachtet. Wenige Tage später bei der U2 untersucht der Kinderarzt bzw. die Ärztin bereits Pupille und Hornhaut bei deinem Kind mittels eines speziellen Augenspiegels. Bei der U4 bis U7 gehört ein spezieller Durchleuchtungstest (Brückner-Test) zum „Pflichtprogramm“, mit dem Sehstörungen bei Babys entdeckt werden können. Und kurz vor dem dritten Geburtstag bei der U7a wird mit verschiedenen Methoden getestet, ob beide Augen des Kindes gleich scharf sehen und ob das räumliche Sehen altersgemäß ausgebildet ist. Sämtliche Ergebnisse werden stets ins gelbe Kinderuntersuchungsheft eingetragen. Auch deshalb – und aus vielen weiteren Gründen – ist es wichtig, dass ihr mit euren Kindern alle Vorsorgeuntersuchungen lückenlos wahrnehmt! 

Darüber hinaus gibt es spezielle Methoden und Geräte, um bei Babys die Sehkraft zu testen. Beim Test nach der Preferential-Looking-Methode sollte das Kind beispielsweise seinen Kopf in Richtung eines Streifenmusters drehen, das ihm auf Karten gezeigt wird. Mit einem automatischen Refraktometer, einem hochpräzisen Messgerät, lässt sich ab etwa dem sechsten Lebensmonat eine etwaige Fehlsichtigkeit feststellen. Ergeben sich in der Kinderarztpraxis auffällige Befunde, führt der Weg zum Augenarzt. 

Tipp: Wenn dir bei deinem Kind etwas auffällt, etwa ein hängendes Augenlid, auffällige Pupillen, keine Reaktion auf Licht oder es greift an Gegenständen vorbei, dann zögere nicht, ärztlichen Rat einzuholen!

Falls erforderlich, gibt es bereits für Babys Brillen, die in der Passform speziell auf die Bedürfnisse der Kleinsten abgestimmt sind. Diese Modelle sind nicht nur extra leicht, sondern ermöglichen es dem Kind durch eine speziell schmale Form auch, auch auf der Seite zu liegen, ohne dass die Sehhilfe drückt. Und der Nasensteg ist speziell mit Kunststoff verstärkt für einen angenehmen Sitz. 

Was Eltern ausprobieren können

Das Kuratorium Gutes Sehen e. V. hat auf seiner Internetseite (www.sehen.de) einen „Seh-Check für Babys“ veröffentlicht, den Eltern selbst durchführen können. Aber Achtung: Dieser Seh-Check ersetzt keine Vorsorgeuntersuchung oder andere ärztliche Untersuchungen! Und auch die Altersangaben können variieren und sind nur Durchschnittswerte, denn jedes Kind entwickelt sich nach seinem eigenen Tempo!

Folgende Dinge können Eltern im Blick haben:

Im 1. Lebensmonat: Wenn ihr neben Babys Kopf eine Lampe an- und ausschaltet: Bewegt das Baby dann neugierig die Augen zum Licht?

Im 4. Lebensmonat: Wenn ihr Babys Interesse auf einen bunten Gegenstand (Ball, Kuscheltier etc) lenkt und ihn im Abstand von 50 bis 80 cm vor den Augen des Kindes hin und her bewegen – schaut das Baby dem Gegenstand aufmerksam hinterher?

Im 7. Lebensmonat: Wenn du dich vor den Augen deines Kindes hinter einem Tuch versteckst und mit „Guckguck“-Rufen auf dich aufmerksam machen –beginnt dein Kind dann, mit Augen- und Körperbewegungen nach dir zu suchen? 

Im 8. Lebensmonat: Wenn dein Kind Neugier und Interesse an halbwegs erreichbaren Gegenständen zeigt – fasst es dann gezielt danach?  

Im 12. Lebensmonat: Wenn dein Kind auf dem Boden sitzt und du ihm aus zwei bis drei Meter Entfernung einen Ball zurollst – greift es dann richtig zu? 

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Katharina Jeschke

Katharina Jeschke

Gründerin von elternundbaby.com und Hebamme

Als Geburtshausleiterin, Hebamme und Mutter unterstütze ich Frauen dabei ihre Herausforderung während, vor und nach der Schwangerschaft besser zu bewältigen.

Um noch mehr Frauen zu erreichen, startete ich elternundbaby.com. Ich freue mich darauf, dich hier begrüßen zu dürfen.