Heute hatte ich meinen ersten Wochenbettbesuch bei Lara. Ich war super glücklich: Diesmal war ich ohne Stau bis zu ihr gekommen, habe sofort einen Parkplatz gefunden und stand tatsächlich pünktlich um 14.30 Uhr vor ihrer Tür. Wie ich dann da so stand, war ich mir aber nicht sicher, ob sie überhaupt mitbekommen kann, dass ich da war. Von drinnen hörte ich nämlich Gepolter und das trotzige, ohrenbetäubende Geschrei von Max. Max ist ihr dreijähriger Sohn. Begleitet wurde das Gebrüll vom Weinen des Babys. Schrill und hoch versuchte sich Ben offenbar auch bemerkbar zu machen. Ich klingelte. Ich wartete. Und außer dem Kindergebrüll hörte ich nichts. Gut, dachte ich, ich rufe sie an und sage ihr, dass ich vor ihrer Türe stehe und gerne meinen Wochenbettbesuch machen würde.
Mir war klar, dass ab jetzt mein Zeitplan komplett zerstört sein würde. Das Telefon hörte sie tatsächlich. Atemlos und fast unfreundlich ging sie ran. Als sie mir dann die Türe öffnete sah ich, wie peinlich ihr die Situation war. Aber auch, wie überfordert sie war. Sie hatte geweint. Das sah ich an ihren Augen. Sie hatte Fieber. Das erkannte ich sofort an ihrem glühenden Gesicht. Lara muss sofort ins Bett, war mein erster Gedanken. Wie das aber gehen konnte, das wusste ich im Augenblick noch nicht. Erst einmal musste ich mich vor den rumfliegenden Lego-Steinen schützen. Im Wohnzimmer herrschte das blanke Chaos. Max hatte ganze Arbeit geleistet. Der Wohnzimmerboden sah aus, als hätte ein Schaufellader, das komplette Spielzeuglager von Amazon ausgeschüttet. Mir war gar nicht klar, wie in diesem Wohnzimmer diese Masse an Spielsachen aufgeräumt Platz finden sollte.

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Das war im Augenblick egal. Ich musste irgendwie gefahrlos in dieses Zimmer kommen und versuchen, irgendwie Ruhe zu bekommen.
Lara hatte die gleiche Idee. Sie stellte also den Fernseher an, zerrte den noch immer brüllenden Max davor und setzte sich mit Ben aufs Sofa. Ben hatte Hunger. Er war also leicht zu befrieden. Laras Fieber, das konnte ich jetzt aber sofort sehen, kam von der Brust, die sah aus, als wären es glühend rote Steine.

Jetzt war zwar Max ruhig. Dafür töste der Kinderkanal in meinen Ohren und ich versuchte mich auf meine Arbeit und Lara zu konzentrieren. Sie erzählte von der Geburt. Ben hat nicht lange gefackelt. Nach zwei Stunden Wehen war er geboren. Lara war sichtlich zufrieden. Die Tage danach auf der Wochenstation hatten ihr aber weniger gefallen. „Das Doppelzimmer, zwei weinende Säuglinge, unendlich viel Besuch“ sagte sie. Gut, das kann ich verstehen. „Und jetzt“, erzählte sie schluchzend weiter, „sitze sie hier in diesem Chaos, völlig müde und fertig“. Das sah ich selbst schon. Mir war nur immer noch nicht klar, warum. Also fragte ich nach. Ja, sagte mir Lara, ihr Mann müsse arbeiten. Er bekommt absolut keinen Urlaub. Im übrigen, schluchzte sie, wäre er der Meinung, sie hätte genug Zeit gehabt, sich im Krankenhaus zu erholen. Mir wäre tatsächlich fast die Mimik entglitten und eigentlich hätte ich am liebsten diesen Aussage bewertet. Natürlich war mir klar, dass mir das nicht zusteht. Und natürlich wusste ich, dass ich durch einen solchen Kommentar gerade gar nichts besser machen kann. Aber Laras Fieber verlangte Ruhe und Schonung. Sonst wird aus dem Milcheinschuss eine ausgewachsene Brustentzündung. Das musste ich irgendwie verhindern, wenn dieses Wochenbett noch gut werden sollte. Deshalb unterdrückte ich jeden Kommentar und erkundigte ich mich lieber, wer denn in der der Zeit, in der Lara im Krankenhaus war, auf Max aufgepasst hatte. Vielleicht ließ sich da die notwendige Hilfe holen. Max hatte die Antwort schneller parat als seine Mama. Er drehte sich zu mir um und erklärte mit strahlenden Augen, dass er bei Oma und Opa war. Großartig, schoß mir durch den Kopf. Ich schlug Lara also vor, den Besuch bei den Großeltern zu verlängern. Max hatte seine Kinderserie sofort vergessen und stürmte durch das Wohnzimmer und fuhr das komplette Arsenal an Kriegsgeheul eines Dreijährigen hoch. Opa! Opa! Opa! Brüllte er durch das Wohnzimmer. Mir klingelten die Ohren. Lara fing wieder an zu weinen. Sie hatte ein unendlich schlechtes Gewissen. Sie glaubte, dass sie Max keinen Gefallen tun würde, wenn sie ihn zu den Großeltern abschieben würde.

Abschieben?

Ich hatte viel eher den Eindruck, dass es für Max nichts Schöneres geben könnte. Die umher geschleuderten Spielsachen zeigen doch, dass sie ihn gerade gar nicht glücklich machen. Aber das schlechte Gewissen konnte ich gut verstehen. Das habe ich bei jeder Mama erlebt und das kenne ich von mir selbst nur all zu gut. Mütter möchten sich immer um alle Kinder gleich intensiv kümmern. Mütter glauben gerne, dass sie das auch im Wochenbett schaffen müssen. Was für ein Leistungsdruck. Was für eine unglaubliche Belastung im Wochenbett, in der sich die Mama ja selbst wieder sortieren muss. Gut, dachte ich, aber das Bedürfnis der gleichen Behandlung, das ist vielleicht jetzt die Lösung für Laras schlechtes Gewissen. Ich war schon bei Lara nach der Geburt von Max und deshalb konnte ich sie leicht daran erinnern, was sie damals alles für Max gegeben hat. Sie lag mit ihm im Bett, kuschelte ihn gefühlt den ganzen Tag. Vergass damals, dass sie selbst etwas Essen muss. Sich duschen war für sie damals kein Bedürfnis. Schließlich hätte sie ja Max für ein paar Minuten alleine lassen müssen. Max hatte seine Mama ganz für sich – den ganzen Tag, über viele Wochen und wenn man es genau nimmt, bis zur Geburt von Ben vor drei Tagen. Drei Jahre Mama – ganz für sich allein. Ben hatte gerade einmal die drei Tage in der Klinik. Mehr Zeit „nur Mama“ kannte er nicht. Bens Weinen, als ich kam, rief nach der Nähe der Mama. Max schrie die Sehnsucht nach den Großeltern durchs Zimmer. Das hörte ich. Das hörte auch Lara. Und sie begann sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass die gleiche Behandlung der beiden Kinder auch etwas mit der gleichwertigen Befriedigung des Bedürfnisses zu tun hat, das im entsprechenden Alter da ist. Ben hat das Bedürfnis nach Mama. Max hat das Bedürfnis den Tag mit dem Opa zu verbringen. Plötzlich erschien alles viel einfacher.

Sie versprach mir, die Großeltern zu aktivieren und sich mit Ben ins Wochenbett zu begeben. Nun hatte ich Hoffnung, dass meine Mittel und Tricks gegen das Fieber und den Milchstau tatsächlich wirken. Ich zeigte ihr, wie sie mit der Brustmassage ihren Milchfluss anregen kann, ließ ihr Medikamente gegen das Fieber da und erklärte ihr, wie praktisch es ist, mit Kohlblätter den Milchstau zu therapieren. Ich war mir sicher, dass Lara diese Therapie trotz Fieber umsetzen konnte. Und Ben würde mit seinem Hunger den Rest der Therapie übernehmen. Er genoß noch immer seine Mutter mit kräftigem, innigen Saugen.
Ob es jemand geben würde, der den  Weißkohl organisieren könnte? Die Großeltern, da war sich Lara sicher, würden das nachher übernehmen.

Das ist gut. Die Großeltern können helfen. Als ich ging war das Kindergeheul verstummt, der Fernseher aus. Lara war zwar immer noch müde. Aber der Ausdruck der Peinlichkeit in ihrem Gesicht und das schlechte Gewissen, war immerhin verschwunden.

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Autorenbox

Katharina Jeschke

Katharina Jeschke

Gründerin von elternundbaby.com und Hebamme

Als Geburtshausleiterin, Hebamme und Mutter unterstütze ich Frauen dabei ihre Herausforderung während, vor und nach der Schwangerschaft besser zu bewältigen.

Um noch mehr Frauen zu erreichen, startete ich elternundbaby.com. Ich freue mich darauf, dich hier begrüßen zu dürfen.