Die Angst vor dem Abort endet nicht mit der 12. SSW – Aber du kannst lernen, mit der Angst vor dem Verlust deines Kindes umzugehen

Heute traf ich Tanja, die sich offenbar mit dem Hebammenmangel beschäftigt hatte, denn sie hat sich in der 8. SSW gemeldet, um meine Hebammenhilfe zu bekommen. Und sie wollte mich sofort sehen. Nein, zwei Wochen auf den ersten Termin konnte sie nicht warten. Sie wollte mich jetzt sehen – praktisch sofort. Sie sagte, sie müsse wissen, wer für sie und ihre Sorgen da ist. Ich bin Hebamme. Klar, bin ich für ihre Sorgen da. Und natürlich bin ich auch sofort für die Sorgen da, wenn sie auftreten. Und so traf ich sie heute, um mit ihr über Gott und die Welt und ihre frische Schwangerschaft zu sprechen. Sie war schon beim Arzt. Der hat bestätigt, was Tanja ohnehin schon wusste: Sie ist schwanger. Im Ultraschall konnte er das kleine Herz schlagen sehen. Das hatte Tanja etwas beruhigt. Aber nur kurz. Denn dann kamen leichte Blutungen. „Völlig normal“ las sie im Internet. „Ein Zeichen einer Fehlgeburt“ las sie im Internet. Zwei Aussagen. Zwei Möglichkeiten mit jeweils dramatisch anderen Folgen. Tanja war nicht beruhigt. Jetzt hatte sie richtig Angst. Nächster Termin beim Gynäkologen. Das Herz des Babys schlägt noch. Der Arzt gab Entwarnung. Tanja wurde aber nicht sicherer. Ich hörte ihr zu und fragte mich, was ich tun kann, um Tanja die Angst zu nehmen.

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Es ist nicht meine Art, irgendetwas schön zu reden. Natürlich kann es sein, dass auch sie zu den Frauen gehört, die eine Fehlgeburt haben. Aber es ist auch nicht meine Art, eine Angst zu schüren. Schließlich bleiben viele Frauen schwanger.

Es war heute ja unser erster Termin. Tanja kennt mich nicht so gut. Ich war deshalb fieberhaft auf der Suche nach den richtigen Worten. Mir war klar, dass ich ihr nicht sagen kann, dass sie das Baby nicht verlieren wird. Sie hatte ab und an diese Blutung. Das haben viele Frauen. Das sagt erst einmal nicht viel. Ansonsten spricht bei ihr alles für eine normale Schwangerschaft. Aber da ist natürlich auch die Statistik: viele Frauen haben einen Abort. Das kann Angst machen. Manchmal ist Angst aber auch eine Vorahnung. Ich hörte ihr also weiter zu. Und wie sie so von ihrem Leben erzählte, von ihrem Beruf, von ihrem Partner, von ihrer medizinischen Vorgeschichte, wurde mir klar, dass diese Frau schon lange einen Kinderwunsch hatte. Sie hatte Probleme mit der Gebärmutter, die erst erkannt und dann operiert werden mussten. Dann mussten die Wunden heilen. Ihr Kinderwunsch musste immer länger warten. Endlich durfte sie schwanger werden. Und nun hat es endlich geklappt. Welch ein Wunder! Was für eine Freude! Wie viel Hoffnung! Und natürlich eine verständliche Angst.

Tanja wünschst sich ein Baby, wie so viele andere Frauen auch. Tanja hat Angst es zu verlieren, wie alle anderen Mütter auch. Wenn ich an mich als Mutter denke, dann kann ich mich in all die anderen Mütter hinein fühlen. Weil, ich habe auch unendliche Angst gehabt, meine Kinder zu verlieren. Wenn ich ehrlich bin, habe ich das tatsächlich immer noch. Jeden Tag aufs Neue. Ich saß also bei Tanja, fühlte meine Angst, fühlte Tanjas Angst und dann fiel mir ein, was mir gegen die Angst hilft. Vielleicht kann es Tanja helfen. Und deshalb erzählte ich Tanja, wie ich mit dieser Angst vor dem Verlust meines eigenen Kindes umgehe. Ich gebe zu, das muss ich jeden Tag wieder neu üben. Mein Trick ist kein Trick, den ich einmal umsetzen muss und dann habe ich nie wieder Angst. Ganz im Gegenteil. Ich habe akzeptiert, dass diese Verlustangst einfach normal ist und dass ich mir ein Vorbild suchen muss, das weniger Angst hat als ich. Als Vorbild habe ich mir das nahe liegende gesucht:

Mein Baby.

Angst vor der Fehlgeburt

Hast Du Dir einmal ein Baby angeschaut, wie es dich voller Vertrauen anlächelt? Hast du einmal ein Kinderlachen wahrgenommen, das so voller Vertrauen genießt, dass es vom Papa beim Spielen in die Luft geworfen wird? Es ist sich absolut sicher, dass es aufgefangen wird. Ich hätte unglaublich wenig Vertrauen, aufgefangen zu werden, wenn ich spielerisch in die Luft geschleudert werden würde. Kinder sind so abhängig. Und Kinder sind so voller Vertrauen in die Welt. Sie denken, alles ist gut. Sie fühlen, alles wird gut. In ihrem Gesicht kann ich Ewigkeit erkennen. Ganz anders übrigens das Weinen bei der Geburt. Das klingt für mich wie ein empörendes Aufbäumen gegen den Verlust. Nicht Trauer, eher Ärger höre ich da raus.

Das Babygesicht voller Vertrauen habe ich mir in der Schwangerschaft immer wieder vorgestellt. Welche Ruhe und Sicherheit das Baby ausstrahlen wird, wenn es in meinem Arm liegen wird. Und dann habe ich mir gedacht, dass mein vertrauensvolles Baby das gleiche von mir verdient hat. Es hat auch verdient, dass ich ihm vertraue. Und das habe ich dann gemacht. Ich habe das Vertrauen einfach zurück geschenkt. Mein Baby hat vertraut, dass ich es in meinem Bauch gesund ernähre. Ich habe ihm vertraut, dass es sich in meinem Bauch gesund entwickelt. Das fühlte sich für mich so an, als könnte ich dem Baby ein gleichwertiges Geschenk machen. Mein Baby hat mir Mut gegeben. Mein Baby hat mir die Angst vor dem Verlust genommen. Mein Baby hat mir später immer wieder gezeigt, dass es ständig neue kleine Verluste geben wird. Und auch, dass das gut ist.

Das beginnt mit der Geburt. Später habe ich bemerkt, wie viel Verlust und Abschied im Abstillen liegt, wie viel Verlust und Abschied in seiner Trotzphase liegt. Mein Kind ist immer weiter von mir weg gegangen. Aber weißt Du was: Niemals hat es das Vertrauen in mich verloren.

Das Geschenk ist mir erhalten geblieben. Und ich bin dabei geblieben, meinem Kind dieses Geschenk immer wieder zurück zu geben.

Immer wenn ich heute Angst um mein Kind habe, dann rufe ich mir das Gesicht meines kleinen Babys direkt nach der Geburt vor mein inneres Auge.

Und dann weiß ich wieder: Ich muss nicht Angst haben, vor dem Verlust. Ich kann Vertrauen haben, dass mein Baby, mein Kind schon weiß, was es tun muss, damit am Ende alles gut wird.

Das habe ich Tanja erzählt. Und sie strahlte. Ich sah in ihrem Gesicht das Strahlen ihres Babys. Ich freute mich. Meine Geschichte hat das Vertrauen ihres Babys in ihr Gesicht gezaubert. In Gedanken lag in diesem Moment ihr Kind schon in ihrem Arm. Für diesen Moment waren die Blutungen vergessen. In diesem Moment war nur Freude, nur Hoffnung. Sie hat ihrem Kind Vertrauen geschenkt und sie ging als glückliche Schenkerin nach Hause.

Vielleicht kann Dir dieser Trick auch helfen. Deshalb erzähle ich auch Dir diese Geschichte.

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Autorenbox

Katharina Jeschke

Katharina Jeschke

Gründerin von elternundbaby.com und Hebamme

Als Geburtshausleiterin, Hebamme und Mutter unterstütze ich Frauen dabei ihre Herausforderung während, vor und nach der Schwangerschaft besser zu bewältigen.

Um noch mehr Frauen zu erreichen, startete ich elternundbaby.com. Ich freue mich darauf, dich hier begrüßen zu dürfen.