Was macht der Fokus auf das Geschlecht mit unseren Kindern?

Was macht der Fokus auf das Geschlecht mit unseren Kindern?

Was wird es denn?

Ich bin schwanger. Nummer 2 ist auf dem Weg zu uns und wir könnten nicht glücklicher sein.

Die Gynäkologin fragt mich, ob ich das Geschlecht wissen möchte. Was sie eigentlich sagen will ist: Wollen Sie wissen ob Sie das Kinderzimmer blau streichen, ob Sie Bodys mit Fußbällen oder Einhörnern geschenkt bekommen, ob sich Opa mehr freut oder Oma – wollen Sie eine Antwort haben auf die allgegenwärtige Frage: Was wird es denn?

Ein paar Monate später stehe ich auf dem Spielplatz. Der Große stromert, Mini schläft. Kaum einer geht am Kinderwagen vorbei, ohne einmal rein zu linsen. Stets mit der Frage: Junge oder Mädchen? Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass sie sich dafür interessieren, wie mein Kind Pipi macht – derzeitig das einzige geschlechtsunterscheidende Merkmal. Nein, sie wollen wissen ob mein Baby auch als Erwachsener noch weinen darf, ob es Glitzer toll finden darf und in der Pause Springseil springen wird, ob die Lehrer*innen ihm Kompetenzen in Physik oder Deutsch zusprechen. 

Das große Problem hierbei ist, dass diese an das Geschlecht geknüpften Erwartungen unsere Kinder bis ins Erwachsenenleben begleiten. Und hierbei sprechen wir nicht über vergleichsweise harmlose Vorlieben für Fußbälle oder Springseile. Nein, hier geht es um viel existenziellere Auswirkungen auf die Zukunft unserer Kinder.

Was mit unseren Mädchen passiert?

Mädchen werden von Beginn an von ihren Eltern als weniger intelligent eingeschätzt als Jungen.[1] Im Schulalter schätzen Mädchen sich in sprachlichen Fächern gut ein, unterschätzen ihre Fähigkeiten aber konsequent in naturwissenschaftlichen und mathematischen Leistungstests.[2] Dieses fehlende Selbstwertgefühl in Bezug auf Arbeitsmarktrelevante Leistungen beeinträchtigt Frauen auch noch im Erwachsenenalter: In einer Studie schnitten Frauen beim Lösen mathematischer und geometrischer Aufgaben schlechter ab, wenn sie vorher ihr Geschlecht nennen mussten.[3] In einer anderen Studie schätzten sie ihre Leistung in einem simulierten Bewerbungsverfahren konsequent schlechter ein als sie wirklich abgeschnitten hatten, während Männer in der gleichen Studie ihre Fähigkeiten realistisch einschätzen konnten.[4]

Es ist unschwer, hier die Verbindung herzustellen zur weiterhin bestehenden Unterbezahlung von Frauen im Vergleich zu Männern in gleichen Positionen, zur geringen Anzahl von Frauen in Führungspositionen und auch der Tatsache, dass immer noch weitaus mehr Frauen ihre Karriere für die Familie oder die Karriere ihres Mannes aufgeben. Und selbst wenn sie das nicht tun, fühlen sie sich immer noch für den Haushalt verantwortlich. Selbst in Familien, wo nur die Frau erwerbstätig ist, ist diese auch noch für den größeren Anteil der Haushaltstätigkeiten verantwortlich.[5]

Wollen wir das wirklich für unsere Mädchen?

Und unsere Jungen?

Jungen wird bereits im Kleinkindalter beigebracht, dass bestimmte Emotionen einfach nicht männlich sind. Ein weinendes Mädchen wird von Erwachsenen als ängstlich, ein weinender Junge als wütend eingestuft.[6] Bevor sie dann schnell lernen, dass weinen auch nicht männlich genug ist. Emotionen wie Angst oder Traurigkeit werden ihnen somit abgesprochen. Diese Art der Sozialisierung führt dazu, dass Männer ihre Krankheitssymptome verharmlosen, dass sie bereit sind mehr Schmerz zu ertragen und größere Probleme mit exzessivem Rauschmittelkonsum haben. Sie zeigen Defizite in der Selbsteinschätzung und Gefahrenvermeidung.[7] Dies führt zu höheren männlichen Unfallzahlen, aber auch zu einer signifikant höheren Suizidrate für Männer (76% der Suizidopfer in 2019 waren männlich[8]). Das Resultat ist eine geringere Lebenserwartung von ca. 5 Jahren für unsere Jungen, für die es sonst keine biologische Erklärung gibt.[9]

Wollen wir das wirklich für unsere Jungen?

Wir müssen uns also fragen: Ist dieser Fokus aufs Geschlecht erstrebenswert? Tun wir unseren Kindern damit etwas Gutes? Ich sehe es nicht. 

Ich wünsche meinen Kindern, dass sie in einem glitzernden Rock Fußball spielen dürfen, wenn sie verletzt sind, weinen können und sich trösten lassen, vielleicht super gut in Mathe sind und abends Connie-Bücher lesen. Ganz einfach: Sie sollen in ihren Vorlieben nicht auf ihre Geschlechtsteile reduziert werden, sondern mit ihrem ganz eigenen Charakter und jeder Emotion akzeptiert werden. Das sollte unser Ziel sein als Eltern, als Menschen, als Gesellschaft!

Ich bitte euch also: Lasst uns aufhören, dem Geschlecht unserer ungeborenen Kinder so viel Wichtigkeit beizumessen. Lasst uns unsere Kinder für das sehen, was sie sind: komplexe, wunderbare, charakterstarke Mini-Menschen, die wir auf ihrem Weg durch die Welt bestmöglich unterstützen dürfen.

[1] Furnham, A., & Gasson, L. (1998). Sex differences in parental estimates of their children‟s intelligence. Sex Roles, 38 (1/2), 151-162.

[2] Schilling, S., Sparfeldt, J., Rost, D. (2006). Facetten schulischen Selbstkonzepts: Welchen Unterschied macht das Geschlecht. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie 2006(20), 9-18

[3] Hausmann, M.(2009). Interactive effects of sex hormones and gender stereotypes on cognitive sex differences – A psychobiosocial approach. Psychoneuroendocrinology 34(3), 389-401

Good, C., Aaronson, J., Harder, J. A. (2008), Problems in the pipeline. Women’s achievement in high-level math courses. Journal of Applied Developmental Psychology Bd 29, S.17-28

[4] Sieverding, B. (2003). Frauen unterschätzen sich: Selbstbeurteilungs-Biases in einer simulierten Bewerbungssituation. Zeitschrift für Sozialpsychologie 34(3) 147-160

[5] Belkin, L. (2008), When mum and dad share it all. New York Times Magazine, 44 (https://www.nytimes.com/2008/06/15/magazine/15parenting-t.html)

[6] Condry, J., Condry, S. (1976). Sex Differences. A study of the Eye of the beholder. Child Devlopment 47(3) 812-819

[7] Stiftung Männergesundheit (2013), Männergesundheitsbericht 2013. (https://www.stiftung-maennergesundheit.de/projekte/gesundheitsberichte/maennergesundheitsbericht-2013.html)

Rohrmann, T. (2003), Harte Jungs- zarte Mädchen?. UGB Forum 2(2003), S.62-65 (https://www.ugb.de/kinder-gesund-ernaehren/pubertaet-unterschied-jungen-maedchen/druckansicht.pdf)

[8] Statistisches Bundesamt (2021), Todesursachen: Suizide. (https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Todesursachen/Tabellen/suizide.html)

[9] Statista (2021), Entwicklung der Lebenserwartung bei Geburt in Deutschland nach Geschlecht in den Jahren von 1950 bis 2060. (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/273406/umfrage/entwicklung-der-lebenserwartung-bei-geburt–in-deutschland-nach-geschlecht/)

Deutsch- Österreichische Klosterstudie https://www.cloisterstudy.eu/COMMS/

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Katharina Jeschke

Gründerin von elternundbaby.com und Hebamme, zertifizierte Erste Hilfe Trainerin, zertifizierte Schlafcaochin für Babys und Kinder

Als Hebamme, Schlafcoachin für Babys und Kinder, sowie als Erste Hilfe Trainerin unterstütze ich Frauen und Eltern dabei Schwangerschaft, Geburt und die Zeit als Eltern gut und entspannt zu gestalten. Ich bin selbst Mama von zwei bezaubernden Kindern.

Kinder sollen sicher und geborgen wachsen können. Dafür brauchen sie starke Eltern, die mit Wissen und Intuition die Entwicklung ihrer Kinder begleiten. Meine Hebammenhilfe soll Eltern das Wissen und Vertrauen geben, das sie ihren individuellen Weg finden und gehen können.

Dieser Blog elternundbaby.com ergänzt meine online Hebammensprechstunde und meine online Kurse von notdiensthebamme.de

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