Ein spätes Abnabeln von Frühgeborenen – möglichst erst nach mindestens zwei Minuten – ist offenbar die beste Methode, um Todesfälle bei den Winzlingen zu verhindern. Das berichtet The Lancet, eine der renommiertesten medizinischen Fachzeitschriften der Welt, über eine aktuelle Studie  zum Abnabeln von Frühgeborenen.

Abnabeln reifgeborener Kinder

Reif zur Welt gekommene Neugeborene werden in Deutschland meistens spät abgenabelt. Denn es hat sich in den Geburtskliniken und bei Hebammen sowieso längst herumgesprochen, dass die Babys davon Vorteile haben. Laut Deutscher Hebammen Zeitung (DHZ) profitieren spät abgenabelte reife Neugeborene von der besseren Durchblutung der vitalen Organe, einer besseren cardiorespiratorischen Stabilität in den ersten zehn Minuten und einer schnelleren Etablierung der Atmung. Hinzu kommen höhere Hämoglobinwerte in den ersten 48 Lebensstunden, ein höherer Ferritinspiegel und eine seltenere Anämie in den ersten sechs bis acht Monaten. Bei reifen spät abgenabelten Kindern sind später (im Alter von vier Jahren) auch eine bessere Feinmotorik und ausgeprägtere soziale Fertigkeiten zusammen mit einem besseren Myelingehalt im Gehirn zu beobachten. 

In der S3-Leitlinie „Vaginale Geburt am Termin“ der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaften wird „frühes Abnabeln“ als Abnabeln zwischen 5 Sekunden bis 1 Minute nach der Geburt des reif geborenen Kindes beschrieben. Unter „verzögertem Abnabeln“ wird das Abnabeln zwischen 1 und 5 Minuten nach der Geburt oder nach dem Auspulsieren der Nabelschnur verstanden. 

Je nachdem, für welches Management der Nachgeburtsphase sich die Mutter entscheidet,  

lautet die Empfehlung A (aktives Management der Nachgeburtsphase): Die Nabelschnur soll nicht früher als 1 Minute nach der Geburt des Neugeborenen abgeklemmt werden, es sei denn, es besteht die Annahme einer Verletzung der Nabelschnur oder das Neugeborene zeigt eine Herzfrequenz von unter 60 Schläge / Minute ohne ansteigende Tendenz. 

lautet die Empfehlung B (abwartendes Management der Nachgeburtsphase): Die Nabelschnur sollte vor Ablauf von 5 Minuten nach der Geburt des Neugeborenen abgeklemmt und durchtrennt werden. 

Entscheidet die Frau, dass die Nabelschnur erst nach Ablauf von mehr als 5 Minuten nach der Geburt abgeklemmt wird, dann sollte dieser Wunsch respektiert werden und die Frau entsprechend ihrer Entscheidung unterstützt werden. 

Abnabeln frühgeborener Kinder

Im Gegensatz zu reifen Neugeborenen haben geburtshilfliche Teams bei Frühgeborenen oft nicht die Nerven für ein spätes Abnabeln, weil das Baby meist rasch in die medizinischen Hände der Neonatologie gelangen soll – gerade wenn es ihm nicht so gutgeht. Dieses Handeln wundert auch insofern nicht, als dass die kritische Grenze für ein Frühchen, ohne Beeinträchtigung zu überleben, nach heutigem Wissen bei der 25. vollendeten Schwangerschaftswoche liegt. Wird ein Baby davor geboren und überlebt, so ist die Wahrscheinlichkeit für einen Sauerstoffmangel und Blutungen sehr hoch. Und doch zeigen immer wieder Beispiele, dass sich auch extreme Frühchen gut entwickeln können. 

• Eine extreme Frühgeburt liegt vor der vollendeten 28. Schwangerschaftswoche vor. Ein Geburtsgewicht von unter 1.000 Gramm ist dann nicht selten. 

• Von einer frühen Frühgeburt spricht man, wenn das Kind zwischen der vollendeten 28. Schwangerschaftswoche und der noch nicht vollendeten 32. Schwangerschaftswoche zur Welt kommt. Diese Kinder wiegen meist unter 1.500 Gramm.

• Als späte oder mäßige Frühgeburt gelten Geburten nach der vollendeten 32. und vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche. Diese Babys kommen in der Regel mit unter 2.500 Gramm auf die Welt. 

In Deutschland werden jedes Jahr rund 64.500 Kinder zu früh geboren. Das ist etwa jedes 10. Kind. Die meisten Frühchen kommen zwischen der 32. und 37. Schwangerschaftswoche auf die Welt. Wenn das frühgeborene Baby bei der Geburt zwischen 1.000 und 1.500 Gramm wiegt, liegt seine Überlebenswahrscheinlichkeit bereits bei 91 Prozent.

Die Frage ist nur: Gereicht das rasche Abnabeln den Frühgeborenen wirklich immer zum Vorteil? Genau das hat die eingangs erwähnte Studie (Bericht in The Lancet)untersucht. Dabei wurden unter Leitung von australischen und britischen Wissenschaftler*innen 2.369 Datensätze in Augenschein genommen, die aus 48 randomisierten Studien und den individuellen Teilnahmedaten von 6.367 Neugeborenen ausgewertet wurden. Miteinander zu vergleichen waren dann verschiedene Zeitpunkte des verzögerten Abnabelns, des Nabelschnurausstreichens sowie die sofortige Abnabelung bei Frühgeborenen. 

Und tatsächlich hat sich das spätere Abnabeln auch bei frühgeborenen Kindern am erfolgreichsten erwiesen! Laut Studie verstarben unter ihnen bis zur Entlassung aus der Klinik im Vergleich zu den Frühabnabelungen ein volles Drittel weniger Kinder! Ein Ausstreichen der Nabelschnur erbrachte dagegen sowohl bei den sofort als auch bei den später abgenabelten Frühgeborenen keinen eindeutigen Unterschied bezüglich der Todesfall-Rate.

Ganz neu sind diese Erkenntnisse aber nun auch wieder nicht. Denn bereits 2018 hatte eine Meta-Analyse gezeigt, dass späteres Abnabeln die Sterberate von Frühgeborenen senken kann. Ein Jahr später, 2019, legte ein Review den Forschungsstand dar, dass späteres Abnabeln bei Frühgeborenen den Blutkreislauf (Hämatokrit, Blutvolumen, rote Blutkörperchen) verbessert. 

Aber zurück zur aktuellen Studie: Sie enthält die Empfehlung, dass das geburtshilfliche Team mit dem Abnabeln eines Frühchens mindestens zwei Minuten warten sollte, damit das Kind einen möglichst sanften und medizinisch optimalen Start ins Leben erhält. Denn Nachteile dieses späteren Abnabelns wurden nicht festgestellt.

Navigiere zum nächsten Beitrag

Autorenbox

Katharina Jeschke

Katharina Jeschke

Gründerin von elternundbaby.com und Hebamme, zertifizierte Erste Hilfe Trainerin, zertifizierte Schlafcaochin für Babys und Kinder

Als Hebamme, Schlafcoachin für Babys und Kinder, sowie als Erste Hilfe Trainerin  unterstütze ich Frauen und Eltern dabei Schwangerschaft, Geburt und die Zeit als Eltern gut und entspannt zu gestalten. Ich bin selbst Mama von zwei bezaubernden Kindern.

Kinder sollen sicher und geborgen wachsen können. Dafür brauchen sie starke Eltern, die mit Wissen und Intuition die Entwicklung ihrer Kinder begleiten. Meine Hebammenhilfe soll Eltern das Wissen und Vertrauen geben, das sie ihren individuellen Weg finden und gehen können.

Dieser Blog elternundbaby.com ergänzt meine online Hebammensprechstunde und meine online Kurse von notdiensthebamme.de