In unterschiedlichen Zusammenhängen ist immer wieder vom so wichtigen Urvertrauen des Kindes die Rede. Beispielsweise weiß man: Viel Körperkontakt mit dem Baby fördert den Aufbau seines Urvertrauens. Das Gleiche gilt, wenn direkt nach der Geburt Gelegenheit zum Bonding war oder Eltern regelmäßig das Lächeln ihres Kindes erwidern.
Beim Thema Urvertrauen erlebe ich aber auch immer wieder Unsicherheit gerade bei sogenannten „Erstlingseltern“. Was hat es eigentlich mit diesem Urvertrauen auf sich, was ist das genau? Die Vorsilbe „Ur…“ lässt möglicherweise auf ein urzeitliches Erbe schließen, das die Evolution den Kindern mit auf den Weg gegeben hat. Sind Babys also bereits von ihrer Geburt an mit Urvertrauen ausgestattet? Leider nein. Man kann jedoch sagen: Jedem Kind ist die Fähigkeit angeboren, Urvertrauen aufbauen zu können. Das gelingt unter bestimmten Bedingungen besonders gut.
Der deutsche Dichter Jean Paul (1763-1825) hat einmal gesagt: „Mit einer Kindheit voller Liebe kann man ein halbes Leben hindurch für die kalte Welt haushalten.“ Ich finde, dieser Satz bringt recht gut auf den Punkt, wie das mit dem Urvertrauen „funktioniert“. Aber werfen wir darauf doch mal einen etwas genaueren Blick.
Was bedeutet Urvertrauen?
Jean Paul meinte mit seiner Aussage: Urvertrauen ist ein grundlegendes Fundament fürs ganze Leben. Denn es befähigt dein Kind dazu, eine stabile Persönlichkeit, Selbstbewusstsein, Interesse und eine optimistische Einstellung zum Leben zu entwickeln sowie später selbst befriedigende soziale Beziehungen zu unterhalten.
Für ein Baby, das gerade auf die Welt kam, ändert sich mit einem Mal alles. Es muss z.B. lernen, lauter völlig neue Sinneseindrücke und Erfahrungen zu verarbeiten und einzuordnen. Dabei ist es auf eure Hilfe angewiesen, die Unterstützung seiner Eltern. Macht das Baby regelmäßig die Erfahrung, dass Mama und Papa prompt zur Stelle sind, wenn es sie braucht, so gibt das dem Kind sehr viel emotionale Sicherheit in dieser ihm zunächst fremden Welt.
Dazu gehört es zunächst, die Bedürfnisse des Babys zu erkennen und angemessen zu beantworten, damit das Kind nicht hungert und friert, sich nicht in vollen Windeln wund liegt oder allein und verlassen fühlt. Deshalb braucht es neben der Satt-Sauber-Warm-Versorgung von seinen Bezugspersonen auch ganz viel Nähe und Zuwendung, das ist unverzichtbar. Aus dieser Sicherheit heraus wächst beim Säugling allmählich das Vertrauen in „seine Menschen“ und die Welt. Dieses Vertrauen wiederum befähigt das Kind, sich ohne Angst anderen Dingen und andere Menschen zuzuwenden. Denn es hat gelernt, dass es sich stets sicher und geborgen fühlen kann. Das wiederum stärkt sein Selbstwertgefühl.
So wird aus dem kleinen Menschlein ein großer Mensch, der nicht nur sich selbst, sondern auch anderen Menschen sowie der Welt vertraut und sich darauf einlassen kann. Das beeinflusst auch die Fähigkeit, im Jugend- und Erwachsenenalter gute Bindungen und Beziehungen zu anderen Menschen unterhalten zu können.
Wenn es nun darum geht, auf die Bedürfnisse eines Babys unverzüglich zu reagieren, erlebe ich bei manchen Eltern jedoch eine gewisse Unsicherheit: „Darf“ man denn Babys auf diese Weise verwöhnen? Hierzu möchte ich ganz klar sagen: Babys kann man gar nicht „verwöhnen“! Sie können uns nun mal noch nicht geordnet mitteilen: „Hallo Mama, ich brauche gerade deine Nähe.“ Oder „Hallo Papa, bitte tröste mich!“ Letztlich ist Weinen oder Schreien die einzige Sprache deines Babys, um dir mitzuteilen, dass gerade etwas nicht in Ordnung ist oder etwas gebraucht wird. Reagieren Eltern darauf prompt, hören, sehen und beantworten sie die Bedürfnisse ihres Kindes, so wächst in ihm mit jedem Mal eben jenes Urvertrauen, das es stark macht fürs ganze Leben.
Übrigens: Auch wenn das Kind schon älter ist, vielleicht schon eine Tagesgruppe, einen Kindergarten oder die Schule besucht, bleibt dieses Prinzip erhalten: Habt keine Angst vor „Verwöhnung“ des Kindes, nur weil ihr es weiterhin aufmerksam hört, seht, begleitet und in seinen Bedürfnissen ernst nehmt. Das – zusammen mit dem Vertrauen ins Kind sowie in sich selbst als Eltern – das ist das Beste, was Mütter und Väter ihren Kindern geben können! Damit verleihen sie ihm Wurzeln und Flügel zugleich.
Was begünstigt das Urvertrauen des Kindes?
Um euer Kind stark zu machen, benötigt ihr kein exklusives Spielzeug, keine Babykurse in Frühchinesisch, keine Säcke voll Geld. Eure Liebe und euer Vertrauen sind im wahrsten Sinne des Wortes genug und sowieso unbezahlbar. Hier ein paar Tipps, die den Aufbau von Urvertrauen besonders gut fördern.
Bonding: Wenn unmittelbar nach der Geburt die Mutter Haut-an-Haut ihr Baby im Arm hält, schüttet ihr Körper das Bindungshormon Oxytocin aus. Sie erlebt Glücksgefühle. In diesem Moment erfährt das Neugeborene ein Stück Sicherheit in seiner ihm neuen gänzlich fremden Welt. Es hat nämlich die vertraute Stimme der Mutter und auch ihre Emotionen bereits während der Schwangerschaft wahrgenommen. Bei diesem ersten Bonding unmittelbar nach der Geburt lernen sich Mutter und Kind kennen und begründen ihre gegenseitige Bindung. Dieser Prozess intensiviert sich noch im Laufe der Tage und Wochen, sodass schon ein deutliches Stück Urvertrauen beim Kind entstehen kann.
Viele Mütter, die aus bestimmten, oft medizinischen Gründen nach der Geburt keine Gelegenheit zum Bonding erhielten, sorgen sich, dass ihre Eltern-Kind-Beziehung dadurch gestört sein könnte. Um eine stabile Bindung und Urvertrauen aufzubauen, kommt es jedoch nicht nur auf diese Momente im Kreißbett an. Deine Hebamme berät dich dazu gerne, wie du das Bonding nachholen kannst. Natürlich kannst du auch mich dazu in meiner online Sprechstunde kontaktieren.
Übrigens: Bonding ist selbstverständlich nicht nur für Mütter wichtig – auch Väter können die Bindung zu ihrem Baby auf diese Weise stärken. Das Neugeborene auf Papas nacktem Oberkörper macht es mit seinem Geruch vertraut und vermittelt dem Kind ebenfalls Schutz und Geborgenheit.
Geborgenheit: Körperliche Nähe, auch und gerade mit viel Hautkontakt, gibt deinem Baby ein wohliges und sicheres Gefühl von Vertrautheit. Nutzt also jede Gelegenheit, eure Kinder im Arm zu wiegen, sie zu streicheln und mit ihnen zu kuscheln. Das gilt wieder auch für alle Papas. Auch eine liebevolle Familienatmosphäre im Alltag stärkt das Gefühl von Geborgenheit beim Kind.
Fürsorge: Das bedeutet, für das Kind da zu sein und aufmerksam seine Bedürfnisse entsprechend zu beantworten. Es gilt also, nicht nur liebevoll seinen Hunger zu stillen, es mit Kleidung und frischer Windel zu versorgen oder sein Schlafbedürfnis zu erfüllen. Dazu gehört auch, dem Kind Trost und Zuwendung zu schenken oder seine Neugier und Spiellust zu befriedigen. So lernt dein Baby, dass es sich auf seine nächsten Bezugspersonen verlassen kann.
Rituale: Bereits die ganz Kleinen erleben so viel Neues und Aufregendes. Dann sorgen wiederkehrende und bekannte „Zeremonien“ für mehr Orientierung, Sicherheits- und Verlässlichkeitsgefühl beim Kind. Das kann beispielsweise ein vorgesungenes Lied zum Einschlafen sein, ein immer gleicher Platz zum Stillen in der Wohnung, ein lustiger Fingerreim beim Windelwechsel oder eine zärtliche Öl-Massage nach dem Babybad.
Vom traditionellen Geburtstagstisch bis zum warmen Getränk am Morgen behalten Rituale auch für ältere Kinder sowie uns Erwachsene große Wichtigkeit.
Vertrauen haben: Dem Kind und seiner Entwicklungsfähigkeit vertrauen ist einfacher gesagt als getan. Dabei ist das eine elementare Grundlage für den Aufbau des Ur-Vertrauens. Aus meiner Erfahrung fühlen wir Eltern gerade daran, wie sehr uns das Ur-Vertrauen verloren gegangen ist, wenn wir aufgefordert sind, unseren Kindern zu vertrauen. Das eigene Vertrauen zu stärken lohnt sich nicht nur für uns und unsere Kraft, sondern auch für die Entwicklung unserer Kinder.
Ein guter Ansatz dabei ist, dass wir das Baby einmal aus einer anderen Warte heraus anschauen: Wenn wir versuchen, die bereits vorhanden Kompetenzen und die Lerngeschwindigkeit der kleinen Babys wahrzunehmen. Aus diesem Blickwinkel können Eltern staunen, was diese kleinen Geschöpfe für Leistungen und Fortschritte zeigen. Das stärkt den eigenen Mut, dem Kind und seiner Entwicklungsfähigkeit zu vertrauen.
Jemandem Vertrauen ist ein aktives Geschehen, das Eltern ihren Kindern vorleben können. Vertrauen lernen, Ur-Vertrauen aufbauen sind Entwicklungsschritte, die Eltern gemeinsam mit ihren Kindern machen können.
Was erschwert den Aufbau von Urvertrauen?
Im Alltag wird es natürlich immer wieder Situationen geben, in denen Eltern auch mal nicht geduldig, liebevoll und einfühlsam reagieren, sondern gestresst, gereizt oder zuweilen überfordert sind. Das ist vollkommen normal und kein Grund zur Sorge, solange das „Grundverhältnis“ zum Kind stabil ist. Dein Baby wird keinen Schaden nehmen, wenn du es mal kurz weinen lässt, nur weil du gerade auf der Toilette bist oder der Papa es ausnahmsweise mit etwas Verspätung von der Tagesmutter abholt.
Wenn das Kind in seiner (frühen) Kindheit dagegen Distanz, grobes Verhalten, pausenlose Verbote, Lieblosigkeit, Herabwürdigung, Gleichgültigkeit, Ablehnung oder Vernachlässigung bzw. Misshandlung erfährt, gefährdet das die Entwicklung seines Urvertrauens erheblich und schadet seiner Seele. Gleiches gilt, wenn das Kind Partnergewalt miterlebt. In diesen und weiteren Fällen fehlt dem Kind die verlässliche Sicherheit, dass seine Bezugspersonen da sind, wenn es sie braucht. Entsprechend gering wird sein Vertrauen in sich und andere bzw. in die Welt sein.
Gleiches gilt aber auch bei allzu großen Erwartungen an das Kind. Wenn kindliche Überforderung aus elterlicher (Über-) Fürsorge entsteht, geht das Vertrauen auch verloren. Die Orientierung am Bedürfnis des Kindes ist dabei der entscheidende Schlüssel zum Erfolg.
Aber auch bei Kindern mit ausgeprägtem Urvertrauen können traumatisierende Erlebnisse wie ein Verlust (etwa durch Trennung oder Tod der Eltern bzw. eines Elternteils) oder eine sogenannte notwendige medizinische Behandlungen (etwa bei schwerer Erkrankung des Kindes im Krankenhaus) ein Zwerglein aus der Bahn werfen. Damit sein dadurch bedrohtes Vertrauen nicht den Bach heruntergeht und sich tatsächlich ein Trauma manifestiert, braucht es jetzt erst recht verlässliche, liebevolle Menschen an seiner Seite.
Wenn jedoch alles nicht so ist, wie es sein sollte, dann kann es passieren, dass aus einem kleinen verunsicherten Menschlein ein älteres Kind bzw. ein Erwachsener wird, der aufgrund seines gestörten Urvertrauens und/oder der erlittenen Verletzungen seiner Seele Auffälligkeiten entwickelt. Dazu gehören beispielsweise Probleme, sich auf Beziehungen (auch Freundschaften) mit anderen Menschen einzulassen, es können sich aber auch ein grundsätzliches Misstrauen, Aggressionen, starker Rückzug oder Ängste zeigen.
Dennoch besteht die Möglichkeit, auch noch später zu lernen, Erlebtes zu verarbeiten und (neues) Vertrauen aufzubauen. Und zwar durch entsprechende positive Erfahrungen, die das alte negative „Programm“ quasi überschreiben. Man spricht dabei von Erfahrungsvertrauen, das wachsen kann. Häufig können das psychotherapeutisch ausgebildete Fachleute unterstützen, auch schon bei kleinen Kindern.
Hilfe annehmen
Solltest du das Gefühl haben, du schaffst es nicht, eine liebevolle Bindung zu deinem Baby aufzubauen, so scheue dich nicht, Hilfe zu suchen. Dafür musst du dich nicht schämen, ganz im Gegenteil: Eltern, die sich in schwierigen Situationen unterstützen lassen, handeln sehr verantwortungsvoll! Hier kann deine Hebamme eine erste Ansprechpartnerin sein. Sie kann dir entsprechende Hilfsangebote vermitteln. Du kannst dich auch an verschieden Stellen im Unterstützungssystem der Frühen Hilfen wenden. Ebenfalls sind Familienberatungsstellen, Familienhebammen und Entbindungskliniken sowie kinderärztliche und frauenärztliche Praxen sowie die Online-Hebammensprechstunde mögliche Ansprechpartner*innen.
Vorbereitung auf die Verantwortung:
Viele werdende Mamas werden mit ihrer Vertrauensfähigkeit schon in den ersten Wochen der Schwangerschaft konfrontiert. Freude, aber auch Angst um den Fortbestand der Schwangerschaft, sind Gefühle, die fast jede Schwangere erlebt. Diese ersten Wochen der Schwangerschaft, in denen es keine medizinische Hilfe für das Embryo gibt, sondern nur Vertrauen in seine Entwicklungsfähigkeit und eine fürsorglicher Lebensstil der werdenden Mama die Schwangerschaft unterstützen kann, ist Herausforderung und Möglichkeit zugleich, den Grundstein für das elterliche Vertrauen zu begründen.
Ist diese Zeit überstanden, gilt es, eine gute Vorbereitung auf die Zeit mit dem kleinen Wesen zu treffen, damit die bedürfnisorientierte Babypflege nicht an mangelndem Wissen und fehlendem Können scheitert. Rund-um-Sorglos ist das Kurspaket von Notdiensthebamme Katharina, das werdenden Eltern in dieser wichtigen Vorbereitungszeit unterstützt.
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Katharina Jeschke
Gründerin von elternundbaby.com und Hebamme, zertifizierte Erste Hilfe Trainerin, zertifizierte Schlafcaochin für Babys und Kinder
Als Hebamme, Schlafcoachin für Babys und Kinder, sowie als Erste Hilfe Trainerin unterstütze ich Frauen und Eltern dabei Schwangerschaft, Geburt und die Zeit als Eltern gut und entspannt zu gestalten. Ich bin selbst Mama von zwei bezaubernden Kindern.
Kinder sollen sicher und geborgen wachsen können. Dafür brauchen sie starke Eltern, die mit Wissen und Intuition die Entwicklung ihrer Kinder begleiten. Meine Hebammenhilfe soll Eltern das Wissen und Vertrauen geben, das sie ihren individuellen Weg finden und gehen können.
Dieser Blog elternundbaby.com ergänzt meine online Hebammensprechstunde und meine online Kurse von notdiensthebamme.de