Diese Situation kennen alle Eltern rund um den Globus: Das Babys weint, ist unruhig, es mag sich nicht beruhigen und schlafen schon gar nicht. In der mongolischen Steppe, im kenianischen Kral, im deutschen Reihenhaus, auf der brasilianischen Hacienda, in der indischen Wellblechhütte oder im kalifornischen Wolkenkratzer wissen Generationen von Müttern, Großmüttern und Hebammen: Sanftes Vorsingen kann da kleine Wunder bewirken. 

Wiegenlieder sind (fast) so alt wie die Menschheit selbst. Beispielsweise berichten Tontafeln aus dem antiken Babylon bereits von Müttern, die ihr Kind singend in den Schlaf wiegen. Eines der ältesten dokumentierten Wiegenlieder kann man in Keilschrift in einem Londoner Museum bewundern. Nur zur Einordnung: Keilschrift wurde vom 4. Jahrtausend vor Christi bis ins erste Jahrtausend nach Christi verwendet.  

Heute sind in jedem Land andere typische Wiegenlieder überliefert. In Deutschland denkt man gleich an bekannte Stücke wie „La le lu, nur der Mann im Mond schaut zu …“ oder „Weißt du wieviel Sternlein stehen…“ So unterschiedlich die Sprachmelodien auf der Welt auch sind – die Struktur vieler Schlaflieder ist überall ähnlich. Sie besitzen nämlich stets eine ruhige Melodie sowie Texte, die dem Kind wünschen, es möge ruhig und sicher schlummern.

Einige von euch mögen jetzt vielleicht einwenden: „Aber ich kann doch gar nicht singen!“ Keine Angst und ganz im Ernst, liebe Eltern – singen kann jeder! Mag sein, dass einigen von euch dabei auch ein paar schiefe Töne dazwischengeraten. Na und?! Ihr könnt euch jedenfalls sicher sein: Schiefe Töne sind eurem Baby piepegal! Es liebt einfach eure vertraute Stimmfarbe, mit der ihr ihm eine leise Melodie vorsingt und es auf diese Weise in Geborgenheit und Sicherheit hüllt oder ihm Trost spendet. So lösen sich Ängste und Anspannung rasch – übrigens nicht nur beim Kind, sondern auch bei den Eltern.

Euer Vorsingen kann aber noch viel mehr als „nur“ das Baby beruhigen. 

Wie wirken Wiegenlieder auf Babys?

Allein schon das Tempo von Schlaf- und Wiegenliedern ist regelmäßig langsamer als Babys Herzfrequenz. Das kleine Herz schlägt nämlich 120 bis 140 Mal pro Minute. Wenn das Baby aufgeregt oder gestresst ist, ist sein Herzschlag sogar noch schneller. Dagegen haben „Weißt du wieviel Sternlein stehen“ oder „Guten Abend, gute Nacht“ nur knapp 80 BPM (Beats Per Minute) und können sogar noch langsamer gesungen werden, wenn ihr mögt. Das holt das Baby wunderbar „runter“ und sorgt für seine Beruhigung. Gleiches gilt für die einfachen, einprägsamen Melodien. Außerdem signalisieren Eltern ihrem Baby mit dem leisen Gesang, dass sie selbst ganz entspannt sind – dass also alles in Ordnung ist. So kann sich eure Ruhe und Entspannung auch auf euer Kind übertragen. Zugleich stärkt das Vorsingen quasi nebenbei auch noch die Eltern-Kind-Bindung. Und dafür müsst ihr wahrlich keine Meistersänger*innen sein! 

Wer sein Baby beim Vorsingen im Arm hält, wiegt es meist intuitiv sanft hin und her. Diese zusätzlich beruhigende Bewegung bietet sich beim 6/8- oder 3/4-Takt vieler alter Schlaflieder auch an. Möglicherweise fühlt sich dein Kind dadurch sogar an seine Zeit in Mamas Bauch erinnert, wenn es in gemütlicher Enge ihre vertraute Stimme um sich hatte, während die Mutter es durch die Gegend „schaukelte“. Auch das vermittelt nämlich ein Gefühl von Sicherheit. Auf diese Weise lässt sich ein Schlaflied wunderbar in ein kleines abendliches Bettzeit-Ritual einbauen. Übrigens: Die Beruhigung funktioniert auch, wenn ihr eurem Baby in einer anderen als seiner Muttersprache etwas vorsingt!

Ganz nebenbei beruhigen Wiegenlieder aber auch die Sängerin und den Sänger. Also das Elternteil, das gerade versucht das aufgeregte Baby zu beruhigen. 

Es ist verständlich, dass das Weinen des Babys an den Nerven zerrt. Das Problem ist dann aber, dass sich das Baby von gestressten Eltern schlechter beruhigen lässt. Die Stresshormone lassen nicht nur beim Baby das Herz schneller schlagen, sondern auch bei Erwachsenen. Nicht selten schaukelt sich deshalb die Situation hoch und Eltern kommen mit ihrem Baby in einen Strudel aus Stress und Frust.

Das Singen des Wiegenliedes hat auch eine beruhigende Wirkung auf denjenigen, der das Baby beruhigen möchte. Es hilft auch deshalb das Kind zu beruhigen, weil es auch das tröstende Elternteil beruhigt und stärkt.

Was weiß die Forschung über elterlichen Gesang für das Baby?

Ich kann euch generell nur raten, euren Babys und Kleinkindern häufig etwas vorzusingen. Neben den beruhigenden Wiegenliedern gibt es auch so viele wunderbare Spiellieder, etwa „Es tanzt ein Bi- Ba- Butzemann“. Dabei entsteht nämlich noch ein weiterer toller Nebeneffekt: Euer Baby wird nicht nur verzückt eurer Stimme lauschen, sondern auch aufmerksam eure Lippenbewegung und Mimik dabei beobachten. Vielleicht versucht das Kleine sogar, diese Bewegungen nachzuahmen, etwa das Mündchen für ein O zu spitzen oder für ein A weit zu öffnen. Und das ist bereits ein deutlicher Schritt auf dem Weg zum Sprechen lernen, lange bevor das Kind selbst erste Worte formen kann! Außerdem werden Kinder auch auf diese Weise mit der Sprachmelodie ihrer Muttersprache vertrauter. 

Wissenschaftler*innen beschäftigen sich seit vielen Jahren auch mit der Frage, ob das elterliche Vorsingen etwas zur emotionalen Selbstkontrolle bei Babys beiträgt. Die Fähigkeit, sich selbst zu regulieren und zu beruhigen, ist Kindern nämlich nicht in die Wiege gelegt. Das müssen sie erst lernen. Dabei kann ihnen das Vorsingen helfen, denn nachweislich hat es deutlich größere Effekte auf „aufgeregte“ Kinder als nur mit den Kleinen beruhigend zu sprechen. Im Ergebnis einer Studie beruhigte Vorsingen Babys für etwa neun Minuten – aber das Sprechen mit ihnen nur halb so lange. Das gilt übrigens auch, wenn Mütter in einer anderen als der Muttersprache des Kindes ein kleines „Konzert“ fürs aufgeregte oder quengelige Kind anstimmen. Singen beruhigt das Baby mehr als mit ihm zu sprechen.

Scheut euch also nicht, eure schmusigen Lieblingssongs vorzutragen, selbst wenn sie auf Englisch oder Französisch daherkommen. Eine weitere Studie mit Babys zwischen acht und 10 Monaten und deren Eltern bestätigt, dass Kinder sich durch Singen besser beruhigen lassen als durch Sprechen. Dieser Effekt verstärke sich sogar bei Liedern, die das Kind bereits kennt. 

Allerdings zeichnet sich in westlichen Industrienationen zunehmend der Trend ab, dass Mütter und Väter mehr mit ihrem Baby zu sprechen, um es zu beruhigen, statt ihm vorzusingen. Und dass sie sich überhaupt oft scheuen, für das Kind zu singen und später mit ihm. Das liegt ganz sicher auch am heutigen Perfektionsdruck, der selbst vor dem elterlichen Gesang nicht Halt macht. Wie oft habe ich schon die Begründung „Ich bin total unmusikalisch“ gehört. Und natürlich immer wieder die Angst vor schiefen Tönen („Ich kann keine Melodie halten“).  

Mein Tipp: Fangt schon in der Schwangerschaft an, das Vorsingen, das zuerst vielleicht nur ein Vorsummen ist, zu „trainieren – auf dem Sofa während eines Päuschens, beim Wäsche zusammenlegen, beim Kochen, auf einem kleinen Spaziergang. Wann immer du allein mit dem Ungeborenen bist: Sing! Das verschafft euch zunehmende Sicherheit und wachsendes Vertrauen in eure Stimme. So fällt euch das Singen nach der Geburt leichter, selbst wenn euer „Publikum“ euch dann in die Augen schauen kann. Zudem werdet ihr schnell feststellen, dass euer Gesang auch auf euch selbst eine positive Wirkung hat, denn u.a. unterstützt er eure Atmung und erhöht die Sauerstoffsättigung im Blut, er reguliert den Blutdruck und löst Verspannungen. Und das sind nur einige der vielen guten Nebenwirkungen.

Bereits Ungeborene lassen sich von Melodie und Rhythmus einnehmen – und werden schon im Bauch der Mutter damit vertraut. Wie wunderbar, wenn die ihnen schon bekannten Lieder dann nach der Geburt erneut erklingen. Mehr Geborgenheit geht kaum!

Was singt man dem Baby am besten vor?

Möglicherweise würdest du deinem Kind gern etwas vorsingen, aber weißt nicht recht, welches Lied? Viele Eltern kennen die alten „Klassiker“ an hier bekannten Weisen nicht mehr. Oder ihnen fehlt einfach der Text dazu. Kein Problem! Das Internet ist voll mit Liedertexten, Noten und Videos, mit denen Eltern ihre Wissenslücken schließen bzw. sich neue Anregungen holen können. Vielleicht hast du auch einen ruhigen Pop- oder Musicalsong, den du besonders gerne magst. Nur zu! Auch den kannst du deinem Baby gerne vorsingen.

Eine Mutter erzählte mir kürzlich, dass sie zur Melodie von „Lal Le Lu …“ sogar einen eigenen Liedertext mit dem Namen ihres Söhnchens gedichtet hat. Eurer Kreativität sind da keine Grenzen gesetzt. 

Als ich meine Babys am Anfang oft tragend und dabei singend beruhigt habe, sind mir dafür eigene Melodien eingefallen. Ich habe sie so oft gesungen, dass sie mir noch immer einfallen, wenn eines meiner Kinder getröstet werden muss. Ich hatte damals für jede Situation ein anderes Lied. Zum Einschlafen ein Wiegenlied, zum Motivieren auf längeren Autofahrten lustige Kindermelodien und zum Trösten die Melodie, die mir damals eingefallen ist, als ich die Kinder stundenlang durch die Wohnung getragen habe. Dadurch hatte ich melodische Unterstützung für meine Kinder. Mir und auch ihnen hat das viele schwierige Situationen erleichtert. Probiere es aus! Vielleicht kannst du in einigen Jahren auch auf besonders schöne Momente des Tröstens mit deinem Kind zurück blicken.

Du kannst deinem Baby eine Melodie zur Beruhigung auch nur vorsummen, falls dir mal der Text gerade nicht einfällt. Wichtig ist es jedoch für dein Kind, deine Stimme   live im Original zu hören. Denn auch die schönste Profi-Version eines Liedes von CD oder aus dem Netz ist kein echter Ersatz für die vertraute Stimme „seiner Menschen“, die dem Baby so viel Wohlgefühl vermittelt. Da reicht auch kein Spielzeug u. ä. heran, auf das man seine eigene Stimme aufnehmen könnte. Eltern (oder auch Großeltern) sind eben durch nichts zu ersetzen! 

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Katharina Jeschke

Katharina Jeschke

Gründerin von elternundbaby.com und Hebamme, zertifizierte Erste Hilfe Trainerin, zertifizierte Schlafcaochin für Babys und Kinder

Als Hebamme, Schlafcoachin für Babys und Kinder, sowie als Erste Hilfe Trainerin  unterstütze ich Frauen und Eltern dabei Schwangerschaft, Geburt und die Zeit als Eltern gut und entspannt zu gestalten. Ich bin selbst Mama von zwei bezaubernden Kindern.

Kinder sollen sicher und geborgen wachsen können. Dafür brauchen sie starke Eltern, die mit Wissen und Intuition die Entwicklung ihrer Kinder begleiten. Meine Hebammenhilfe soll Eltern das Wissen und Vertrauen geben, das sie ihren individuellen Weg finden und gehen können.

Dieser Blog elternundbaby.com ergänzt meine online Hebammensprechstunde und meine online Kurse von notdiensthebamme.de