„Glückwunsch! Wann ist es denn soweit?“ Solche Sätze hat so manche frisch gebackene Mutter schon gehört. Darauf folgt meist betretenes Schweigen, denn womöglich steht schon der erste Geburtstag des Kindes vor der Tür. Bei Müttern, die noch längere Zeit nach der Geburt „schwanger“ aussehen, liegt oft eine Rektusdiastase vor. Dieses auch Out of Alignment genannte Phänomen bedeutet: Der Bauch wölbt sich nach vorne und fühlt sich sehr weich an, weil die beiden geraden Bauchmuskelstränge weiter als üblich zur jeweiligen Seite auseinanderstehen.
Diese beiden geraden Bauchmuskelstränge werden lateinisch als Musculus rectus abdominis bezeichnet und verlaufen vertikal zwischen Brustbein und Becken. „Diastase“ ist die medizinische Fachvokabel für das Auseinanderklaffen von z. B. Muskeln oder Knochen.

Wie kommt es zu einer Rektusdiastase?
Im Prinzip ergeht es jeder Frau während der Schwangerschaft so: Das Baby wächst in der Gebärmutter heran, wird immer größer und beansprucht stetig mehr Raum. Zunehmend muss ihm alles Platz machen, was „im Wege“ steht: die Innenorgane der Mutter, aber auch ihre geraden Bauchmuskeln. Diese weichen zur Seite aus. Das ist ihnen auch deshalb möglich, weil Schwangerschaftshormone die gesamte Muskulatur im mütterlichen Körper gelockert haben.
Die geraden Bauchmuskeln sind mit der sogenannten Linea Alba verbunden. Das ist eine Art vertikaler „Gewebestreifen“, der aus Sehnen und Faszien besteht und wesentlich zur Stabilität der gesamten Körpermitte beiträgt. In der Schwangerschaft wird die Linea Alba durch den sich auswölbenden Bauch stark gedehnt.
Nun könnte man denken: Alles kein Problem! Wenn das Kind geboren ist und sich die Gebärmutter wieder auf ihre ursprüngliche Größe zusammengezogen hat, können ja auch die geraden Bauchmuskeln wieder an ihren alten Platz rücken und sich die Linea Alba zusammenziehen. Das geschieht im Verlauf der ersten sechs bis 12 Wochen nach der Geburt quasi automatisch und wird durch die Rückbildungsgymnastik normalerweise unterstützt.
Leider ist das bei 60 Prozent aller Mütter aber nicht der Fall. Bei ihnen stehen die Rektusmuskeln auch sechs Wochen nach der Geburt noch unverändert auseinander – und bei 32 Prozent der Mütter sogar noch am ersten Geburtstag ihres Kindes. Das heißt: Zwischen ihren geraden Bauchmuskelsträngen bleibt ein Spalt. Das nennt man Rektusdiastase.
Wenn auch du einen solchen Spalt hast, könntest du ihn sogar erfühlen. Dafür legst du dich mit angewinkelten Beinen auf den Rücken und hebst Kopf und Schultern leicht an, damit sich deine Bauchmuskeln spannen. Nun kannst du mit jeweils zwei fest in die Bauchdecke drückenden Fingern oberhalb und unterhalb deines Bauchnabels spüren, ob du dort auf Muskelstränge triffst oder auch einen Spalt zwischen den beiden Strängen.
ACHTUNG: Diesen Test jedoch bitte nicht wiederholen, da die geraden Bauchmuskeln nicht mit geraden Bewegungen belastet werden dürfen. Andernfalls verstärkst du damit ihr Auseinanderdriften noch zusätzlich.
Auch die Hebamme oder die Ärztin bzw. der Arzt kann eine nachgeburtliche Rectusdiastase ertasten.
Welche Beschwerden können bei einer Rektusdiastase auftreten?
• Schmerzen, vor allem Rücken- oder „Kreuzschmerzen“, aber auch Kopf- oder Bauchschmerzen
• Kraftverlust des Rumpfes
• Sonstiges: unwillkürlicher Harnabgang, Inkontinenz, Absenkung von Innenorganen, Verdauungsprobleme u.a.m.
Das alles ist unangenehm und kann das Leben auch auf Dauer sehr beeinträchtigen. Erschwerend tritt hinzu: Betroffene Frauen leiden oft stark unter ihrem vorgewölbten Bauch, der trotz Training und Gewichtsabnahme nicht flacher werden will. Als ein extremes Beispiel möchte ich euch von einer heute 34-jährigen Mutter erzählen. Sie hat vor sechs Jahren entbunden, ihre Tochter wird also demnächst eingeschult.
Diese Mutter – nennen wir sie hier Karola – trägt heute eigentlich eine Kleidergröße 40/42, ist also ganz normal „gebaut“. Tatsächlich muss sie aber immer noch zu 50er-Größen greifen, weil sie fortgesetzt unter einem „deutlichen Schwangerschaftsbauch“ leidet. Karola hat schon alles dagegen versucht: zahllose Diäten gemacht, langes intensives Training im Fitnessstudio auf sich genommen, aber nichts half. Eigentlich hatte sie schon aufgegeben und sich mit überweiten Schlabberpullis und -hosen in XXXL abgefunden.
In meiner online-Hebammenberatung konnten wir dann ganz behutsam miteinander ergründen, dass in ihrer Rückbildung nach der Geburt auf eine mögliche Rectusdiastase nicht geachtet wurde und sie im Fitnessstudio mit den absolut falschen Übungen trainiert hat. Das alles verschlimmerte Karolas Problem.
Jetzt nimmt sie schon seit vielen Wochen an meinem online-Rückbildungskurs teil und trainiert auch täglich zu Hause intensiv – und zwar mit den richtigen Übungen bei Rectusdiastase. Das eigentliche Problem liegt nämlich nicht lediglich in der Optik, sondern vor allem in der beeinträchtigten Stabilität der Körpermitte. Diese Stabilität entsteht dadurch, dass der Gewebestreifen (Linea Alba) eingebunden ist in ein ausgeklügeltes Zusammenspiel von geraden und schrägen Bauchmuskeln, Rückenmuskulatur, Beckenboden und Zwerchfell. Wenn dieses System wie bei Karola nun aus dem Gleichgewicht gerät und bleibt, ist die Körperstabilität insgesamt geschwächt.
Erste Erfolge gaben Karola neuen Mut – sie hat z.B. schon sehr viel seltener Kopf- und Kreuzschmerzen! Und ich bin sicher: Ihre Stabilität kommt zurück und ihr Bauch wird flacher werden, wenn sie dranbleibt und Geduld hat, selbst so viele Jahre später.
Ziel der Übungen
Nach neueren Erkenntnissen ist es nicht das oberste Ziel, den Spalt komplett zu schließen, sondern wie bei Karola vor allem die Stabilität der Körpermitte zurückzugewinnen und zu stärken. Dafür musst du sehr gezielte Trainingseinheiten einlegen. Selbst wenn du erst Jahre nach der Geburt damit beginnst, wird das deinem Körper helfen.
Ganz wichtig dabei: Beginne nicht auf eigene Faust mit irgendwelchen ambitionierten Übungen! Sonst richtest du damit wie Karola mehr Schaden an, als Nutzen daraus ziehen. So dürfen z.B. keine Übungen auf dem Trainingsplan stehen, die gezielt die geraden Bauchmuskeln ansprechen.
Wenn du das Gefühl hast, du könntest von einer Rektusdiastase betroffen sein, oder wenn du sie vielleicht bei dir ertastest hast: Scheue dich auch nicht, auch noch Jahre nach der Geburt etwas gegen die Folgen zu tun! Am besten wendest du dich dafür an eine physiotherapeutische Praxis, die dir eine spezifische Therapie anbieten und entsprechende Übungen zeigen kann. Du kannst dich natürlich auch gern an mich wenden.
Nur in seltenen Fällen reicht konsequentes Training nicht aus. In dem Fall ist eine Operation erforderlich, um den Muskelspalt und seine Folgen wieder in den Griff zu bekommen. Leider übernehmen die Krankenkassen die Kosten für einen solchen Eingriff meistens nicht.
Hilft vorbeugen gegen Rektusdiastase?
Schwangere mit überdurchschnittlich schweren/großen Föten oder Mehrlingen haben ein höheres Risiko für eine Rektusdiastase. Gleiches gilt für sehr schlanke, sportliche Frauen sowie für werdende Mütter, die an Übergewicht leiden bzw. in der Schwangerschaft sehr viel an Gewicht zulegen. Auch Frauen, die bereits eine oder mehrere Geburten hinter sich haben, sind eher betroffen. Hier spielen also auch Faktoren eine Rolle, die man manchmal kaum oder gar nicht beeinflussen kann.
Und auch unabhängig davon lässt sich eine Rektusdiastase im Vorfeld nicht komplett verhindern – jedoch zumindest abmildern.
Damit der Spalt zwischen den geraden Bauchmuskelsträngen möglichst klein bleibt bzw. sich schneller schließt, kannst du schon in der Schwangerschaft und nach der Geburt einiges tun. Dazu gehört etwa, in der Schwangerschaft die Bauchmuskeln nicht über Gebühr zu trainieren. Gewöhne dir auch an, dich über die Seite hinzulegen und auch über die Seite aufzustehen. Das gilt ebenfalls für die Zeit nach der Geburt. Damit entlastest du die geraden Bauchmuskeln. Vermeide es außerdem, schwer zu heben. Nach der Entbindung hilft regelmäßige Wochenbett- bzw. Rückbildungsgymnastik. Sprich deine Hebamme auch auf gezielte Übungen bei Rektusdiastase an, die du gut eigenständig trainieren kannst.
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Katharina Jeschke
Gründerin von elternundbaby.com und Hebamme, zertifizierte Erste Hilfe Trainerin, zertifizierte Schlafcaochin für Babys und Kinder
Als Hebamme, Schlafcoachin für Babys und Kinder, sowie als Erste Hilfe Trainerin unterstütze ich Frauen und Eltern dabei Schwangerschaft, Geburt und die Zeit als Eltern gut und entspannt zu gestalten. Ich bin selbst Mama von zwei bezaubernden Kindern.
Kinder sollen sicher und geborgen wachsen können. Dafür brauchen sie starke Eltern, die mit Wissen und Intuition die Entwicklung ihrer Kinder begleiten. Meine Hebammenhilfe soll Eltern das Wissen und Vertrauen geben, das sie ihren individuellen Weg finden und gehen können.
Dieser Blog elternundbaby.com ergänzt meine online Hebammensprechstunde und meine online Kurse von notdiensthebamme.de